Czajas fabelhafte Welt des altersgerechten Lebens
Neue Technologien sollen Menschen möglichst lange eigenständiges Wohnen sichern, doch dieser Traum ist für viele unerschwinglich
Per Fernbedienung wird – ganz gemütlich vom Sofa aus – Wasser in die Badewanne eingelassen, elektrische Geräte schalten sich beim Verlassen der Wohnung automatisch ab. Das klingt praktisch, aber auch ein bisschen nach Luxus. Für pflegebedürftige Menschen allerdings könnten solche Annehmlichkeiten in Zukunft die Chance auf ein weitgehend eigenständiges Leben im eigenen Zuhause bedeuten.
Smart Homes, E-Health, oder AAL (Ambient Assisant Living), was auf Deutsch: »Altersgerechte Assistenzsysteme für ein selbstbestimmtes Leben« bedeutet, nennen sich die neuen Technologien, die Lebensqualität, soziale Teilhabe und Mobilität im Alter versprechen.
Berlins Gesundheitssenator Mario Czaja (CDU) machte sich am vergangenen Mittwoch zusammen mit Mitarbeitern der Technologiestiftung auf die Suche nach Innovationen in der Hauptstadt. »Heute gibt es in Berlin rund 105 000 pflegebedürftige Menschen. In dreißig Jahren werden es schätzungsweise 70 000 mehr sein«, sagt Czaja. Dabei steige nicht der Bedarf an stationärer, sondern ambulanter Pflege.
Nicolas Zimmer von der Technologiestiftung wirbt für die Digitalisierung im Pflegebereich. »Es geht nicht darum, Menschen mit einem Smartphone in ihre Wohnung abzuschieben. Die Frage ist, wie kann man mehr statt weniger sozialer Teilhabe ermöglichen.« Der ehemalige CDU-Wirtschaftsstaatssekretär und Start-Up-Gründer stellt sich vor, dass Berlin nicht nur junge Menschen anziehen, sondern auch ein attraktiver Ort zum alt werden sein sollte.
Smartes Altern, das kann so ziemlich alles heißen. Vom intelligenten Rollstuhl, der sich in der Stadt geeignete Wege sucht, über sturzmeldende Fußböden, bis zur extern steuerbaren Alarmanlage. »Die Menschen fühlen sich zunehmend jünger«, meint Zimmer. 2030 werde es die erste 65 plus Generation geben, die mit Smartphones und Tablets vertraut ist. Um selbstständiges Altern im eigenen Zuhause zu ermöglichen, muss jedoch nachgerüstet werden. »99 Prozent der Wohnungen in Deutschland sind nicht barrierefrei und altersgerecht«, sagt Zimmer.
Erster Stopp auf Czajas Erkundungstour ist die Casenio AG. Hier werden sensorbasierte Assistenzsysteme konzipiert. In der Praxis heißt das: Die Wohnung des Pflegebedürftigen wird mit Sensoren ausgestattet, die miteinander kommunizieren und Informationen an einen zentralen Computer senden. Sind in der Wohnung beispielsweise über längere Zeit Herd und Dusche gleichzeitig an, werden Angehörige oder Pflegepersonal über verständigt.
Ähnlich sieht das intelligente Wohnen in einer Musterwohnung des Altenheim Sunpark vom evangelischen Johannesstift aus. Fast alle Einrichtungsgegenstände können über Fernbedienung gesteuert werden. Wird ein Fenster geöffnet, geht automatisch die Heizung aus, per Knopfdruck läuft Wasser in die Badewanne. Ein zentraler Rechner dokumentiert die Aktivitäten.
Das smarte Wohnen im Alter verspricht viel: Komfort, Sicherheit, Mobilität und mehr Teilhabe. Aber es hat auch Schattenseiten. Ein intelligentes Haus weiß alles über seinen Bewohner. »Dadurch wird der Mensch noch transparenter«, kritisiert Alexander Dix, Berlins Datenschutzbeauftragter. »Mit solchen Daten lassen sich komplette Persönlichkeits- und Lifestyleprofile erstellen. Das ist für kommerzielle aber auch für kriminelle Zwecke hochinteressant.« Wichtig sei, dass die Bewohner solcher intelligenten Häuser kontrollieren können, wer Zugriff auf ihre Daten hat. Besonders bei alten, womöglich dementen Menschen dürfte sich die eigenständige Kontrolle der Datenflüsse allerdings schwierig gestalten.
Hinzu kommt: Intelligentes Wohnen ist nicht billig. Jeder einzelne Sensor von Casenios kostet rund 50 bis 100 Euro, plus eine Monatsgebühr für den Anbieter. Die Versicherung übernimmt bisher nichts. 4000 Euro können Pflegebedürftige derzeit für den altersgerechten Umbau ihrer Wohnung beantragen, für ein komplettes intelligentes Haus reicht das jedoch nicht. Wie technologiebasierte Pflege angesichts steigender Altersarmut nicht zum Luxusgut wird, darauf hat Czaja keine klare Antwort. Man müsse sich schon früh Gedanken machen, sagt der Senator. Bei privaten Anschaffungen, die ohnehin getätigt werden, sollte darauf geachtet werden, dass diese altersgerecht sind. Heißt wohl im Klartext: Bis auf weiteres zahlen die Betroffenen.
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