Alles, was wir tun können
Dokumentation: Wie Wolfgang Abendroth als »999er« nach Griechenland kam und dort gemeinsam mit Partisanen gegen die Nazi-Besatzer kämpfte
Als ich am 3. Februar 1943 – wir waren alle, alte Zuchthäusler zum »Bewährungsbataillon« zwecks Verschickung »zur Ausbildung« auf den Heuberg zum Halleschen Bahnhof in Berlin »einberufen« worden – dort meinen alten Genossen und Freund Werner Illmer wieder traf, waren wir uns mit dem gesamten Kern der »Politischen« einig: Kommen wir irgendwo an der Front zum »Einsatz«, kann es nur eine Aufgabe für uns geben: Alles, was wir können, zu tun, um mit der Bevölkerung der besetzten Gebiete in Kontakt zu kommen und mit ihr gemeinsam gegen Hitler zu kämpfen.
Auf dem Heuberg blieb die enge Zusammenarbeit mit Werner Illmer bestehen. Bald standen wir beide, wenn auch nur in verschiedenen Ausbildungskompanien, in engem Zusammenhang konspirativer Gruppen in unseren »Einheiten«, die gegenüber den »Kriminellen« - auch nicht-politische Zuchthausgefangene waren »beschränkt wehrwürdig« geworden – und den »Ausbildern« und Offizieren gut abgesichert werden mussten. Über unsere politischen Pflichten waren wir uns nun alle klar, wenn wir natürlich auch alle noch nicht wissen konnte, in welcher Form wir sie dann wahrnehmen würden.
Ende Mai ging es zur »Front«. Wir wussten zunächst nur, dass es nach Jugoslawien oder nach Griechenland gehen würde und dass es in beiden Ländern Partisanen gab. Meine Kompanie hatte ihre ersten »Einsatzbefehle« im jugoslawischen Teil Mazedoniens bei Skopje. Aber unsere Versuche, mit den Bewohnern dieses Bereichs oder gar mit Partisanen Verbindungen zu bekommen, waren vergeblich. Die Sprachbarriere war nicht zu durchbrechen, und die paar Brocken Englisch und Französisch, die wir konnten, halfen uns so wenig weiter, wie wenige Fetzen Alt-Griechisch, mit denen ein Kamerad bei einem Popen Anschluss suchen wollte. Nicht besser ging es uns beim nächsten »Einsatz« im Olymp-Bereich, schon in Griechenland also. Doch dann kam unsere Kompanie auf die Insel Lemnos, in deren größtes Dorf, Kastron. Dort lebten viele griechische Intellektuelle, die gut Französisch sprachen, auch manche Studenten aus den in dieser Zeit geschlossenen griechischen Universitäten. So wurde es bald – obwohl wir natürlich ihnen gegenüber zuerst nur in vorsichtigen Andeutungen sprachen – wir »Intelligenzler« unter den »Politischen« waren stets zuerst vorgeschickt worden, ein Volkswirt und ich – unter den Griechen bekannt, wes Geistes Kind die neue Kompanie war, die auf der Insel stationiert worden war. Und dann wagten sich auch andere Griechen an uns heran, die Seeleute und Fischer gewesen waren, bevor die deutschen Okkupanten die Insel besetzt hatten, und deshalb ein paar Brocken Englisch sprechen konnten.
Inzwischen hatte die Militärkommandantur der Insel, die von Offizieren der regulären Wehrmacht gebildet wurde, »Schreiber« nötig – die Neu-Griechisch konnten – wenigstens Englisch und Französisch verstanden. So wurden der Hamburger Volkswirt und ich als »Schreiber« auf die Insel-Kommandantur befohlen.
Das war für uns zunächst ein riskantes Unternehmen. Wir mussten lernen, zwischen den von Metaxas überkommenen griechischen Inselbehörden und ihrer Polizei, den deutschen Offizieren und der in ihrer großen Majorität, wie wir durch schon erfahren hatten, antifaschistischen Bauern-, Seemanns- und Intellektuellen-Bevölkerung der Insel (es gab recht viele Ärzte, Lehrer und Anwälte) hin- und herzujonglieren, ohne uns sofort so zu exponieren, dass wir »hochgingen« und dadurch unsere Organisation der »Politischen« in der Kompanie (und bald auch der zwei weiteren 999-Kompanien, die nach uns auf die Insel gekommen waren) in den Strudel hineinzureißen. Um etwa einen Aufstand auf der Insel zu riskieren, waren wir viel zu schwach. Denn dort waren noch eine große Anzahl »normaler« Einheiten stationiert und die »Kriminellen« auch in unseren Einheiten hätten im Ernstfall auf der anderen Seite der Barrikaden gestanden. Noch mussten wir uns bei der Beurteilung der Griechen, mit denen wir zu tun hatten, allein auf unseren Instinkt und persönlichen Eindruck verlassen. Dabei hätten wir schon in diesen ersten Wochen auf der Kommandantur viel ausrichten können; denn wir hätten Personalausweise »besorgen« und jeden von der Wehrmacht befohlenen »Arbeitseinsatz« der Bevölkerung, den Griechen vorher melden und sie warnen können. Und wir konnten durch andere Kameraden, die die Telefonzentrale der Insel erst aufbauten und dann in ihrer zentralen Vermittlung bedienen mussten, diesen Telefonverkehr der deutschen militärischen Stellen kontrollieren. Bald kam uns ein Zufall zu Hilfe. Ein englisches U-Boot hatte die griechischen KZ-Gefangenen der benachbarten kleinen Insel Agios Efstratos befreit und ich wurde als Schreiber-Begleitung eines deutschen Offiziers dorthin kommandiert, um deren hinterlassenes persönliches Eigentum zu beschlagnahmen und zu »verfrachten« und bei den Unterhaltungen des deutschen Offiziers mit dem Bischof dieser Insel (die als Mönchs-Insel »geistlich« verwaltet wurde) als Dolmetscher zu dienen. Denn dieser Bischof sprach Französisch und der Offizier nicht.
Auf dieser Insel hatte ich nun zwei Stunden lang griechischen Fischern zu kommandieren, wie sie die alten Bettgestelle und Decken des KZ auf ein »Kaiki«, ein kleines griechisches Boot, zu verladen hätten. So war ich in dieser Rolle als, wenn man so will, Beladungskommandeur über »zwangsverpflichtete« Inselbewohner allein mit den Griechen und hatte hier Englisch zu sprechen, weil das für die Griechen – alles Seeleute aus dem früheren »kleinen Seeverkehr der Ägäis« - verständlich war, während mein Offizier damit ausreichend beschäftigt war, den Wein- und Ouzo-Vorrat eines griechischen Klosters zu konsumieren. Plötzlich wurde ich Französisch angesprochen und in ein eifriges Gespräch über die Geschichte der Kommunistischen Internationale verwickelt und offenkundig genauestens examiniert. Der Kamerad, der das tat, sagte mir dann, ich habe diese Prüfung gut genug bestanden, um ihn zu überzeugen, dass die Gerüchte, die es in Kastron auf Lemnos über meine Kameraden und mich gebe, wir seien zuverlässige Antifaschisten, augenscheinlich zutreffend seien. Von jetzt an könne also die enge Zusammenarbeit gut klappen. Er gab mir den Namen und die Adresse eines griechischen Zahnarztes in Kastron, der dort in der Leitung der Kommunistischen Partei und der EAM sitze und mit dem ich alles weitere verabreden solle. Die EAM der Insel wusste nun rechtzeitig vorher von jeder Aktion der deutschen Truppen und ihrer Militärpolizei und brauchte sich um Personalausweise der deutschen Besatzungsbehörden nicht mehr zu sorgen.
So ging das einige Monate recht gut. Dann kam eine Katastrophe, und ich habe – ich will es nicht leugnen - Angst ausgestanden und um mein Leben gebangt. Es mag Kameraden geben, für die Angst kein Problem ist. Ich nehme Heldenrollen nur ungern für mich in Anspruch.
Einer unserer »Politischen« 999-Kameraden, der um diese ganzen Zusammenhänge wusste (und auch – bei aller notwendigen konspirativen Vorsicht – um sie wissen musste) hatte (wegen einer familiären Katastrophe) »Heimaturlaub« nach Leipzig bekommen. Aber in Leipzig lief er in den konspirativen Zusammenbruch der Schumann-Gruppe hinein und wurde verhaftet. Wir hörten es auf Lemnos durch unsere Offiziere. Die Offiziere und die Militärpolizei wurden entsprechend nervös und misstrauisch. Mein Kamerad, der Volkswirt, wurde auf einen völlig anderen Platz der Insel kommandiert und durch einen »Kriminellen«, der übrigens ein harmloser, aber politisch unzuverlässiger Homosexueller war, ersetzt. Wir wussten nicht, ob nun über die Leipziger Gestapo Berichte über unsere Arbeit auf Lemnos, die dieser Leipziger Kamerad seiner Gruppe dort gegeben haben mochte, zu den Militärstellen unserer Insel und ihrer Militärpolizei gedrungen waren. Bald merkten wir, dass das nicht so sein konnte, und die Arbeit ging weiter.
Ende August, Anfang September 1944 – inzwischen war die Nachbarinsel Lesbos geräumt worden und nun von einer ELAS-Einheit besetzt – erfuhr ich, dass auch Lemnos geräumt und wir auf das Festland transportiert werden sollten. Aber vorher sollte nicht nur alles, was auf der Insel militärisch wichtig war, sondern auch alle Brücken und vor allem alle elektrischen Anlagen gesprengt werden. Das Elektrizitätswesen der Insel war von einem anderen 999-er, auch einem »Politischen«, einem österreichischen Kameraden betreut. Er ging prompt auf der Insel mit allen Sprengungsplänen zu den griechischen Genossen »untergrund«, und wenige Tage darauf folgte ich mit den sonstigen wichtigen Materialien der Inselkommandantur, damit die Zerstörungsaktion noch vor den Auslösungsbefehlen »unterlaufen« werden konnte. Die »Deutschen« waren zwar noch auf der Insel, aber die Verladung hatte schon begonnen. Die griechischen Kameraden haben uns bald aus der Stadt hinaustransportiert, in einer Höhle an einer einsamen Stelle an der Küste verborgen und nach wenigen Tagen nach Lesbos und nach der Stadt Mythilini zur ELAS-Führung transportiert. Dort hatten wir nun die Propaganda unter den »normalen« deutschen Soldaten zu organisieren und haben das einige Wochen tun können. Denn die deutschen Militärstellen hatten dann doch noch Truppen auf Lesbos (wie z.B. bis zum bitteren Ende auf Rhodos) zurückgelassen. Das britische Militärkommando, dem formell militärisch die ELAS unterstand – der griechische Bürgerkrieg von Churchills Gnaden gegen die griechische Linke hatte noch nicht begonnen, aber war bereits (wir ahnten das durchaus) vom Headquarter »Middle East« aus in Vorbereitung – hat dann die ELAS gezwungen, uns nach der englisch besetzten Insel Chios vorzukommandieren. Von dort wurden wir beide, mein österreichischer Kamerad und ich, bald – nun aber als »Kriegsgefangene« (nun der Krieg gegen wen? Gewiss nicht gegen Hitler) - nach Ägypten gebracht.
So haben wir »Politischen« 999-Kameraden gemeinsam mit den Griechen gegen Hitler gekämpft. Werner Illmer hat es auf dem Peloponnes mit dem Leben bezahlen müssen. Wir sind davongekommen.
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