Über den Hinterhof zum Juniorpartner
Während der lateinamerikanische Süden mit einer Flaute kämpft, schreibt Mexiko eine »Erfolgsgeschichte«
Die Fußballweltmeisterschaft 2014 sollte den Anstoß für eine Energiewende in Brasilien geben. Mit einem Fördervolumen von zehn Millionen Euro finanzierte die deutsche KfW-Staatsbank das Solardach auf dem Stadion in Belo Horizonte. Doch nicht allein der Fußballrausch ist einem kräftigen Kater gewichen: Statt der Ökowende steht auf dem seit Freitag laufenden 7. Amerika-Gipfel wieder das schwächelnde Wirtschaftswachstum im Fokus der meisten lateinamerikanischen Regierungen.
Nach der Jahrhundertwende hatten steigende Rohstoffpreise und wachsende Produktion die Staatskassen gefüllt, Lohnerhöhungen ermöglicht und ehrgeizige Sozialprogramme im früheren »Hinterhof« der Vereinigten Staaten mitfinanziert. Exportschlager wie Soja aus Brasilien, Rindfleisch aus Argentinien oder Erdöl aus Venezuela stärkten die Wirtschaft. Der Aufstieg Millionen armer Latinos in die untere Mittelklasse kurbelte die Konsumnachfrage an.
Dennoch wurde die Dynamik der asiatischen Schwellenländer nie erreicht. 2014 enttäuschte das Wachstum endgültig: Preisbereinigt wuchs die Wirtschaft Lateinamerikas mit 1,1 Prozent weit langsamer als zuvor. Selbst Brasilien, dessen Präsidentin Dilma Rousseff gerne als Repräsentantin einer Wirtschaftsgroßmacht auftritt, konnte kaum Gewinne aus der Fußball-WM ziehen. Auch die Präsidentschaftswahl konnte die Wirtschaft nicht langfristig positiv beeinflussen. Die Abhängigkeit der Rohstoffexporteure von externen Triebkräften ist groß. Die Eurozonenkrise und das verlangsamte Wachstum in China bremsen den Latino-Schwung. »Die Region wird insgesamt weiter mit scharfem Gegenwind konfrontiert«, befürchten Analysten der Deutschen Bank.
Für Gegenwind sorgt vor allem das Ende des Superrohstoffzyklusses. Die Preise für Kaffee, Sojabohnen oder Zucker fallen - Produkte, die für Lateinamerika ebenso wichtig wie Metalle sind. Auch der Ölpreis, der für Mexiko, Venezuela und mittelbar Kuba bedeutend ist, scheint seinen Zenit überschritten zu haben. Zum Problem könnten auch der starke Dollar und hohe Finanzierungskosten werden: Die Zentralbank Brasiliens hat im März den Leitzins auf über zwölf Prozent erhöht. In Argentinien steht er auf 13 Prozent (Eurozone: 0,05 Prozent).
In den goldenen Jahren wurde zu wenig investiert, um die Wirtschaft auf mehr Standbeine zu stellen. Die Infrastruktur gilt als überfordert. Globale Logistikkonzerne wie DHL oder Hapag Lloyd bauen daher auf eigene Hinterlandverkehre. Die oft »linken« Regierungen scheuten vor Strukturreformen zurück, die ihre Klientel hätten verärgern können.
So legten andere Volkswirtschaften seit 2011 weit stärker zu als das Aushängeschild Brasilien (rund fünf Prozent). Das traditionell unternehmensfreundliche Chile (15 Prozent), Kolumbien (15 Prozent) und Peru (20 Prozent) gehören zu den Siegern. Sie hatten den Rohstoffreichtum für Investitionen und die Stärkung der Industrie genutzt.
2015 wird Lateinamerika laut der regionalen UN-Wirtschaftskommission CEPAL nur um ein Prozent wachsen, der Süden dürfte sogar schrumpfen. Die »Erfolgsgeschichte«, so sehen es kapitalfreundliche Analysten, wird im Norden geschrieben. Auslandsinvestitionen in Fabriken und ein niedriges Lohnniveau haben etwa Mexikos Norden zum Juniorpartner der Auto- und Konsumgüterindustrie des ungeliebten Nachbarn USA gemacht - trotz ausufernder Kriminalitätsrate. Bei der staatlichen deutschen Exportagentur Germany Trade and Invest heißt es: »Zuwächse stehen im Einklang mit der kräftigen Zunahme der Industrieproduktion in den USA.« Sie sei »der wichtigste Impulsgeber« für die exportorientierte mexikanische Wirtschaft, die Zeichen stünden 2015 auf Wachstum. Wovon auch deutsche Firmen profitieren wollen: Sie rechnen mit Investitionen in In-frastruktur, Maschinen und Energie.
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