Lehrerin ließ Schüler Horst-Wessel-Lied singen
Pädagogin ließ Klasse verbotenes Lied singen und marschieren / Emmy-Noether-Gymnasium ist mit Titel »Schule ohne Rassismus« ausgezeichnet
Eine Musiklehrerin der 11. Oberschule in Köpenick ließ Schüler das verbotene faschistische »Horst-Wessel-Lied« singen und dazu marschieren. Der Vorfall ereignete sich bereits Mitte März. Das Gymnasium im Allende-Viertel, das seit 2006 den Ehrentitel der jüdischen Emigrantin »Emmy Noether« trägt, die als Wissenschaftlerin in den 1930er Jahren aus Deutschland von den Nazis vertrieben wurde, ist Mitglied des Verbandes »Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage«. Pate der Schule ist unter anderen der Fußballverein »1 FC. Union Berlin«.
Berlins Polizeisprecher Stefan Redlich bestätigte am Dienstag gegenüber »neues deutschland« Ermittlungen zu diesem Vorfall. »Eine Ermittlerin der Polizei hat die Musiklehrerin vernommen«, sagte Redlich. Die Pädagogin soll sich auf den Rahmenlehrplan bezogen haben, der eine Auseinandersetzung mit dem nazistischen Liedgut vorsehen soll. Dort heißt es allerdings nur, dass die Schüler ein Verständnis für die Funktionalisierung von Musik im »Dienste politischer, religiöser und wirtschaftlicher Interessen« entwickeln sollen.
Die Schüler aus der 11. Klasse der Oberstufe konnte die Polizei dagegen bislang nicht zu dem Vorwurf vernehmen, weil die Schule sich weigerte, der Polizei eine Liste der Namen der Schüler zu übergeben, die das Lied mitsingen sollten. Da ein Teil der Schulklasse minderjährig ist, hätten die Beamten zunächst die Erziehungsberechtigten ermitteln müssen. Da sich die Schule laut Polizei jedoch weigerte, eine solche Liste herauszugeben, wollte die Polizei noch am Dienstag weitere Ermittlungsbehörden einschalten. »Wir haben den Vorgang deshalb am Dienstag an die Staatsanwaltschaft übergeben«, erklärte Redlich. Ausgelöst worden waren die Ermittlungen durch eine Anzeige wegen Volksverhetzung.
Das »Horst-Wessel-Lied« war zunächst ein Kampflied der faschistischen Sturmabteilung »SA«, während der nationalsozialistischen Diktatur wurde es zur inoffiziellen zweiten Nationalhymne. Die Alliierten ließen das Lied bereits 1945 verbieten. Nach Paragraf 86a des Strafgesetzbuches ist das »Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen« auch heutzutage strafbar. Darauf zielte auch die laufende Anzeige gegen die Lehrerin ab.
Die Berliner Landeskoordination des Netzwerks »Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage« forderte am Dienstag in einer ersten Stellungnahme, dass die Vorwürfe unbedingt aufgeklärt werden müssen. »Eine Schule ist in der Pflicht, alles zu tun, sich aktiv damit zu befassen«, sagte der Geschäftsführer des Verbandes, Eberhard Seidel, dem »nd«. Das erwarte man von einer Schule, die den Titel »Schule ohne Rassismus« trage. In der sogenannten Selbstverpflichtung der »Schule ohne Rassismus« heißt es: »Wenn an meiner Schule Gewalt, diskriminierende Äußerungen oder Handlungen ausgeübt werden, wende ich mich dagegen und setze mich dafür ein, dass wir in einer offenen Auseinandersetzung mit diesem Problem gemeinsam Wege finden, uns zukünftig zu achten.«
Auf mehrfache Nachfrage wollte sich die Schulleitung des Emmy-Noether-Gymnasiums trotz der Selbstverpflichtung am Dienstag nicht öfentlich zu dem Vorfall äußern. Eine Sprecherin von Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) erklärte: »Wir werden das schulaufsichtlich prüfen, in welchem Kontext das durchgenommen wurde.« Möglicherweise ging es der Pädagogin darum, bei der Besprechung des »Kälbermarsches« von Bertold Brecht auch das »Horst-Wessel-Lied« zu behandeln. »Der Kälbermarsch ist ohne das Horst-Wessel-Lied nicht zu verstehen«, so die Sprecherin der Senatsbildungsverwaltung.
Der Berliner Landesvorsitzende der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten (VVN/BdA), Hans Coppi, will das nicht so stehen lassen. »Was an der Marsch- und Gesang-Performance erhellend für die Schüler sein kann, erschließt sich mir gar nicht«, sagte Coppi dem »nd«. Schließlich gehöre das »Horst-Wessel-Lied« zu den Liedern, mit denen Juden und Gegner des NS-Regimes verhöhnt und drangsaliert wurden. In Konzentrationslagern wurden die Häftlinge zur »Umerziehung« gezwungen beim Zwangsexerzieren das verhasste Lied zu singen, sagt Coppi. Beim Raub- und Vernichtungskrieg trugen es die deutschen Waffenträger aller Art in die Welt. Und in der Neonaziszene gehöre das »Horst-Wessel-Lied« noch heute zum gepflegten Liedgut, kritisiert der Landesvorsitzende der VVN/BdA.
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