Abkommen von Algier ist ein wichtiger Schritt
Ex-Premier Moussa Mara über den langwierigen Friedensprozess in Mali
nd: Sie waren Ministerpräsident in Mali von April 2014 bis Januar 2015. Über die Hintergründe Ihres Rücktritts ist in Deutschland relativ wenig bekannt. Können Sie die Sachlage erhellen?
Mara: Vorab gilt es festzuhalten, dass die Rolle eines Premierministers in Mali nicht mit der des Regierungschefs in Deutschland zu vergleichen ist. Der Premier wird in Mali vom Präsidenten berufen und abberufen, es ist ein Präsidialsystem. Der Premier erledigt im Auftrag des Präsidenten die Regierungsgeschäfte. Der Präsident ist dem Premier nicht rechenschaftspflichtig. Er beruft je nach politischen Prioritäten einen Premier oder eben ab. Die Abberufung erfolgte ohne Angaben von Gründen. Ich unterstütze den Präsidenten Ibrahim Boubacar Keita weiter und werde auch weiter dem Land dienen. Zwischen uns gibt es keinen Konflikt, was immer auch an Gerüchten und Spekulationen kursiert.
Ibrahim Boubacar Keita ist der erste gewählte Präsident Malis, seit das Land ausgehend vom Putsch im März 2012 in die Krise driftete. Im Januar 2013 folgte die Militärintervention der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich, um den abtrünnigen Norden wieder unter Kontrolle zu bringen. Ist Mali wieder auf dem Status quo ante 2012 oder einen Schritt weiter?
Wir sind weiter als im Frühjahr 2012. Wir haben definitiv große Fortschritte erzielt, vor allem in den vergangenen zwei Monaten mit dem in Algier verhandelten Friedensabkommen. Die Regierung Malis hat ihm trotz mancherlei Bedenken bereits zugestimmt und auch ein Teil der im Norden aktiven bewaffneten Gruppen hat zugestimmt. Bei diesen Gruppen muss man zwei Lager unterscheiden: das eine, das die territoriale Einheit Malis bewahren will, und das andere, das sich für Autonomie und Unabhängigkeit ausspricht und sich abspalten will. Letzteres ist nicht bereit, ein Friedensabkommen zu unterschreiben. Sie sagen auch Nein zur Dezentralisierung, wie sie im Friedensabkommen angeboten wird.
Kurzum: Wir haben reale Fortschritte gemacht, aber die Krise ist sehr tief, sodass diese von außen vielleicht nicht so sichtbar sind. Wir brauchen Zeit, um die Probleme an den Wurzeln anzupacken, die diese tiefe Krise bewirkt haben. Eine schnelle Lösung gibt es nicht. Das zeigt die Vergangenheit. Viele Friedensabkommen wurden nur kurz nach Abschluss wieder gebrochen. Das muss dieses Mal anders sein. Die neun Monate dauernden Verhandlungen von Juli 2014 bis zum Abkommen im März 2015 sind nur ein Anfang. Und im Unterschied zu früheren Abkommen war dieses Mal die Zivilgesellschaft in alle Verhandlungsetappen involviert.
Lässt sich das präzisieren?
Sicher. Der Vermittlungsausschuss bei den Verhandlungen hat die Bedingung gestellt, dass die Zivilgesellschaft beteiligt werden muss. Drei Parteien sollten an den Verhandlungstisch: die Regierung und die beiden bewaffneten Lager - die einen, die pro Einheit sind und die, die für Abspaltung des Nordens plädieren. Alle diese drei Parteien mussten zivile Vertreter für die Verhandlungen benennen. Die bewaffneten Gruppen kommen aus dem Norden und haben Zivilisten aus dem Norden benannt, die Regierung sowohl Vertreter aus dem Norden als auch dem Süden. Letztlich haben sich deswegen am Verhandlungstisch in Algier mehr Vertreter aus dem Norden als aus dem Süden eingefunden. Die Regierung stellte 50 Personen und 60 Personen die bewaffneten Gruppen.
Wie stand es um die Repräsentanz der verschiedenen Ethnien und gesellschaftlichen Gruppen?
Die waren allesamt vertreten: die Tamatschek, die Peuls, die Bambara, die Araber, die Sorel, die Gewerkschaften, die Medien, traditionelle Oberhäupter, Jugend, Frauenvertreter. Man kann wirklich sagen, dass die ganze Gesellschaft repräsentiert war. Alle haben Vorschläge gemacht, die meisten wurden berücksichtigt, wenn sie die drei Grundprinzipien beherzigt haben: Integrität des Staates, Dezentralisierung und gleichrangiger Aufbau des Staates in allen Regionen.
Wie wird mit den Gruppen verfahren, die bisher an der Sezession festhalten?
Mit ihnen wird trotzdem noch weiter verhandelt, um sich in Richtung Frieden zu bewegen und die territoriale Integrität zu erhalten. Diejenigen, die am Ende des Verhandlungsprozesses sich immer noch verweigern, werden wir bestrafen und ihre Organisationen verfolgen und verbieten müssen.
Was heißt das genau? Schließt das militärische Vergeltung ein?
Es ist wichtig zu wissen, dass die meisten Gruppen im Norden keine Abspaltung wollen. Und das nun vorliegende Abkommen enthält Verpflichtungen für beide Seiten. Der Staat ist in Sachen Dezentralisierung gefordert, er muss für Entwicklung, Sicherheit und Versöhnung im Norden sorgen. Der Staat steht in der Pflicht für die wirtschaftliche Entwicklung aller Regionen. Die UNO hat die Aushandlung dieses Abkommens begleitet und damit steht sowohl die Internationale Gemeinschaft als auch Mali in der Verantwortung, dieses Abkommen Realität werden zu lassen. Diejenigen, die sich dem weiter verweigern, sind im Endeffekt die Kräfte, die keine Versöhnung und auch keinen Frieden im Land wollen.
Diejenigen müssen bekämpft werden, zuallererst mit juristischen Mitteln, aber im Zweifel auch mit militärischen, wenn sie weiter zu den Waffen greifen, den Friedensprozess infrage stellen und dem Land schaden. Der Friedensprozess muss weitergehen. Dafür werden wir alle notwendigen Mittel ergreifen.
Das heißt, dass weiterhin ein Rückgriff auf externe militärische Unterstützung notwendig sein wird - sei es Frankreich, sei es Tschad -, denn die malische Armee war schon 2012 zu schwach, um der Lage im Norden wieder Herr zu werden und daran hat sich doch nichts geändert, oder?
Das stimmt. Malis Armee hat zurzeit leider nicht die Mittel, um die Sicherheit im Norden zu gewährleisten. Wir bleiben deswegen tatsächlich von externen Unterstützern abhängig. Allerdings hat die malische Regierung bereits beschlossen, die Armee in den kommenden fünf Jahren neu zu strukturieren, damit sie danach in der Lage ist, selbst für Sicherheit im ganzen Land zu sorgen. Bis dahin brauchen wir internationale Unterstützung, vorzugsweise über eine multilaterale UNO-Mission wie die UN-Mission in Mali (MINUSMA) und nicht in Form einzelner Länder. Wir plädieren für eine Stärkung der MINUSMA. Sicherheit und die Bekämpfung des internationalen Terrorismus sind gemeinsame Aufgaben, die gemeinsam angegangen werden müssen und nicht in Alleingängen. Das erfordert eine Bündelung der regionalen und globalen Kräfte.
Wie optimistisch sind Sie, dass die territoriale Integrität Malis angesichts der Sezessionsbewegung und des wachsenden Einflusses des internationalen Terrorismus im Norden bestehen bleibt?
Ich bin optimistisch. Das Friedensabkommen ist eine gute Grundlage für die Bekämpfung des Terrorismus. Dort werden Themen wie innerstaatliche Versöhnung und Entwicklung angesprochen. Die Dezentralisierung soll den lokalen Bevölkerungen mehr Beteiligung und Einfluss auf die Mittelverwendung gewährleisten. Das sind die Probleme, die wir zuerst lösen müssen. Eine bessere Verteilung des Reichtums im Lande, eine bessere wirtschaftliche Entwicklung sind die Voraussetzungen für alles andere. Erst auf dieser Basis können wir dem Terrorismus den Garaus machen. Das Abkommen hat auch viele Passagen, wo es um gute Regierungsführung, um Korruptionsbekämpfung geht, um mehr Zusammenhalt. Diese Themen sind sehr wichtig, um wieder mehr Vertrauen in der Bevölkerung, unter den verschiedenen Bevölkerungsgruppen und jeweils im Verhältnis zum Staat zu schaffen. Das sind die Themenfelder, die wir in den kommenden Monaten und Jahren bearbeiten müssen, um zu Lösungen zu kommen.
Reicht das, um den Terrorismus zu besiegen?
Das kann Mali nicht allein schaffen. Es gibt sehr viele Ungerechtigkeiten in der Welt, viele ungelöste Krisen wie den Nahost-Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis. Diese schreienden Ungerechtigkeiten führen zu Revolten. Und solange die krassen Ungerechtigkeiten fortdauern, wird es auch Terrorismus geben. Nehmen Sie den Hunger in die Welt, die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich. All das muss angepackt werden. Der Kampf gegen die Armut auf der Welt verlangt auch eine größere internationale Solidarität. Mali hat fest vor, seinen Beitrag zu leisten.
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