Die FAQ zum Abkommen
Die USA und Europa wollen mit TTIP (Transatlantik Trade and Investment Partnership) eine gigantische transatlantische Freihandelszone schaffen. Beide Vertragspartner erwirtschaften rund 46 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts. Verhandelt wird seit Juli 2013, in der kommenden Woche beginnt in New York die neunte Runde.
Ursprünglich sollte das Abkommen 2014 unter Dach und Fach sein. Das kam dazwischen: Proteste auf beiden Seiten des Atlantiks, Überwachung der EU-Kommission durch den US-Geheimdienst NSA, wachsende Kritik in den Parlamenten.
Ein Kernpunkt ist der umstrittene Investorenschutz durch Schiedsgerichte. Hier treffen sich Kläger (meist Konzerne) und Beklagte (meist Staaten) in Hinterzimmern, der Richterspruch ist unanfechtbar, Öffentlichkeit nicht zugelassen. Geschützt werden die Unternehmen vor Menschenrechten, Arbeits- und Umweltschutz. Das Bundeswirtschaftsministerium war nach den Protesten zunächst dagegen, jetzt spricht man dort von einem »modernen Investitionsschutz«. In der letzten Verhandlungsrunde gab es zu diesem Punkt nach Auskunft der EU-Kommission eine »Annäherung«. had
Kommunen
Die öffentliche Daseinsvorsorge soll »auf dem höchsten Liberalisierungsniveau« gebunden werden. Ausnahmen sind aufgrund vereinbarter Abkommen nicht möglich. Zudem drängen die USA massiv zur Liberalisierung öffentlicher Ausschreibungen. Dadurch würde es schwieriger, bei der Vergabe soziale und ökologische Ziele zu berücksichtigen oder die eigene Region zu stärken. Einen Vorgeschmack gibt hier der CETA-Vertrag mit Kanada. Allein in Deutschland haben sich bisher 200 Städte, Gemeinden und Landkreise kritisch zu TTIP geäußert. Sie befürchten eine massive Einschränkung der kommunalen Selbstverwaltung.
Lebensmittel
Hormonfleisch oder Chlorhuhn werden im Verhandlungstext nirgends benannt, vom Tisch sind sie damit nicht. Über das Stichwort »Regulatorische Zusammenarbeit« könnte zukünftig eine Angleichung sichergestellt werden. Diese Herzensangelegenheit der Industrie wurde bereits in mehreren Verhandlungsrunden angesprochen. Der bisherige, geleakte Vorschlag sieht einen mit Experten besetzten »Regulierungsrat« vor, der Empfehlungen etwa bei Gesetzesänderungen zur Zulassung von Pflanzenschutzmitteln an die Parlamente gibt. Außerdem könnten regionale Herkunftsbezeichnungen wie »Beelitzer Spargel« aufgeweicht werden.
Umwelt
Immer mehr Gentechnik und Chemie auf dem Acker? Während in den USA die Behörden erst nach einem Schadensfall einschreiten können, gilt in Europa das Vorsorgeprinzip. Dieses »Handelshemmnis« stört die Agrarlobby schon lange. Im CETA-Abkommen mit Kanada, das als Blaupause gilt, wurde eine Kooperation im Bereich Biotechnologie als gemeinsames Ziel definiert. Negative Handelsauswirkungen wie strengere EU-Zulassungsverfahren und Kennzeichnungsregeln sollen durch Zusammenarbeit auf Regulationsebene reduziert werden. In der letzten Runde stand das Thema Agrar auf der Agenda – ohne Entscheidungen.
Gesundheit
Für Pharmaunternehmen sind die rechtlichen Bedingungen in den USA günstiger, das spart Zeit und Geld. Die größte Gefahr sehen Verbraucherschützer hier durch den Investorenschutz: Konzerne könnten Regierungen verklagen, die Gesetze zur Kostenreduzierung von Arzneimitteln erlassen oder weniger wirksame Medikamente von der Erstattung ausschließen. Die Preise würden steigen.
Vorteile bringt TTIP der Industrie auch bei Pharmastudien: Eigentlich sollten ab 2016 zwingend alle – auch negative – pharmazeutischen Studien öffentlich gemacht werden. Doch nach US-Recht hat die Wahrung von »Geschäftsgeheimnisse« Vorrang.
Arbeitsschutz
Auch der Arbeitsschutz in Europa könnte als Handelshemmnis eingestuft werden und so Klagen vor einem Schiedsgericht nach sich ziehen. So befürchtet unter anderem die Deutsche Unfallkasse, dass durch TTIP das hohe europäische Schutzniveau zur Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten abgesenkt wird. Nach Beschwerden wurde dieser Punkt vorübergehend aus den Verhandlungen ausgenommen. Dass die Befürchtungen berechtigt sind, zeigen auch frühere Versuche, die Pflichtmitgliedschaft der Betriebe in der Unfallversicherung über den Umweg des europäischen Wettbewerbsrechts in Frage zu stellen.
Kultur
Derzeit ist die Kultur auf Beharren Frankreichs offiziell kein Bestandteil der Verhandlungen. Für den Deutschen Kulturrat gefährdet TTIP die kulturelle Vielfalt dennoch »fundamental«. Denn die in Europa übliche Kulturförderung wie auch die Buchpreisbindung könnten auf Drängen von Konzernen wie Amazon oder Warner Bros als Handelshemmnis eingestuft werden. Auch das Urheberrecht wird auf beiden Seiten des Atlantiks unterschiedlich gehandhabt. Dahinter stehen laut Kritikern grundlegend verschiedliche Auffassungen: In Europa gehört Kultur zum schützenswerten Gut, in den USA wird sie als Ware wie viele andere angesehen.
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