»Sozialistische Flut« will Chávez-Erbe bewahren

Linke Regierungskritiker treten bei der Parlamentswahl mit eigener Liste an

  • Tobias Lambert
  • Lesedauer: 3 Min.
Mit der kleinen chavistischen Marea Socialista (Sozialistische Flut) spaltet sich erstmals eine Gruppierung von Venezuelas Regierungspartei ab. Sie will »Chávez’ Erbe« retten.

Bisher galt Marea Socialista (Sozialistische Flut) als kleine kritische Strömung innerhalb der regierenden Vereinten Sozialistischen Partei Venezuelas (PSUV). Seit dem Wochenende jedoch kann sie sich als erste chavistische Abspaltung der von Hugo Chávez Frias 2007 ins Leben gerufenen PSUV bezeichnen. Bei der für Ende dieses Jahres geplanten Parlamentswahl will Marea Socialista als eigene politische Kraft anzutreten, die den »wahren Chavismus« sowohl gegen die Regierung als auch die Opposition verteidigt.

Die Ziele seien eine »Revolution innerhalb der Revolution« und die »Rettung von Chávez’ Erbe«, verkündete die Gruppierung am Sonntag. Die aktuelle Regierung unter Hugo Chávez’ Nachfolger Nicolás Maduro Moros betreibe »keine Politik zum Aufbau des Sozialismus«, begründete der Politologe Nicmer Evans, eines der prominentesten Gesichter von Marea Socialista, den Schritt auf dem chavistischen Internetportal aporrea.org.

Vielmehr stelle sie allmählich die Zustände wieder her, »die wir mit Chávez zu überwinden begonnen hatten«. Marea Socialista will nun unzufriedene Chavisten überzeugen und Wähler, die sich keinem der beiden großen politischen Blöcke zugehörig fühlen. Zunächst muss die bisherige PSUV-Strömung aber von der Nationalen Wahlbehörde offiziell als Partei anerkannt werden.

Als ursprünglich trotzkistische, aus linken Gewerkschaftskreisen hervorgegangene Gruppierung, gehörte Marea Socialista im Jahre 2007 zu den Gründungsmitgliedern der PSUV. Nennenswerten Einfluss oder höhere Posten in der Partei hatte die Strömung nie inne, ist medial aber vor allem über aporrea.org präsent. Der Mitbegründer des unabhängigen chavistischen Portals, Gonzalo Gómez, ist Mitglied von Marea Socialista. Seit Chávez’Tod im März 2013 haben kritische Beiträge und Diskussionen auf der Seite zugenommen. Nach der Wahl von Maduro im April 2013 ging auch Marea Socialista zunehmend auf Distanz zum Präsidenten und kritisierte Korruption, Bürokratie sowie das Fehlen von Debatten innerhalb der Partei. Bei internen Wahlen der PSUV im November löschte die Regierungspartei nach Angaben von Marea Socialista ohne Parteiausschlussverfahren drei ihrer Vertreter aus den Mitgliederlisten, darunter Evans. PSUV-Funktionäre warfen Mitgliedern der parteiinternen Strömung voriges Jahr häufig vor, der Opposition in die Hände zu spielen und die chavistische »Einheit« zu gefährden. Die »von Chávez geforderte ›Einheit‹« gelte aber weder »für Korrupte«, noch für jene, die die vorchavistischen Verhältnisse wieder herstellen wollen, konterte Evans jüngst in einem Artikel.

Seitens der PSUV gab es bis jetzt zunächst keine offiziellen Reaktionen. Im Hinblick auf die parteiinternen Vorwahlen am 28. Juni, bei denen sich fast 1200 Mitglieder als Kandidaten der PSUV bewerben, rief Nicolás Maduro am Montag zur Geschlossenheit auf. Statt »Streit und Grüppchenbildung« schlage nun »die Stunde der großen chavistischen Einigkeit zwischen Parteibasis und Parteiführern.«

Schon mehrmals spalteten sich während des bolivarianischen Prozesses kleinere Parteien in Chávez-Anhänger und -gegner, wobei die Oppositionellen anschließend stets in der politischen Versenkung verschwanden. In den Jahrzehnten vor Chávez’ erstmaligem Wahlsieg 1998 hatte sich die venezolanische Linke durch starke Fragmentierung immer wieder selbst geschwächt.

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