Tröglitz will ganz anders sein
Folge 65 der nd-Serie »Ostkurve«: Bei den Fußballern des TSV Tröglitz sind Flüchtlinge willkommen
3000 Einwohner hat Tröglitz, jenes Dorf im südlichen Sachsen-Anhalt, das seit diesem Frühjahr weit über die Grenzen des Burgenlandkreises hinaus bekannt geworden ist. 40 Flüchtlinge hatten hier untergebracht werden sollen, wogegen regelmäßig Rechtsextreme demonstrierten - so lange, bis Bürgermeister Markus Nierth öffentlichkeitswirksam zurücktrat. Zu Ostern brannte schließlich das geplante Asylbewerberheim. »Eine Schande« nannte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) die Ereignisse. »Wir müssen uns in der Bundespolitik mit dieser unsäglichen Entwicklung auseinandersetzen«, forderte Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU). Derweil sucht die Polizeiermittlungsgruppe »Kanister« noch immer nach den Brandstiftern.
Tröglitz müht sich seither nach Kräften, den schlechten Ruf wieder loszuwerden. Längst hat sich eine Initiative im Ort gegründet, in der Anwohner versuchen, ein freundliches Willkommen vorzubereiten für die Anfang Juni erwarteten Flüchtlinge, die vorerst in privaten Wohnungen untergebracht werden sollen.
Auch der ortsansässige Fußballverein TSV Tröglitz will nicht zurückstehen im Bemühen, zögerlichen Tröglitzern die Ängste zu nehmen und die Flüchtlinge willkommen zu heißen. »Wir wollen gerne Flüchtlinge in unserem Verein unterbringen. Es ist wichtig, dass die Leute aus dem Dorf mit Menschen anderer Herkunft in Kontakt kommen«, sagt Jörg Heinold, Fußball-Sektionsleiter beim TSV Tröglitz. Bereits Ende vergangenen Jahres habe der Verein diesen Entschluss gefasst, sagt er: »Einige unserer Mitglieder sind im Gemeinderat aktiv und wussten schon im November, dass in Tröglitz Flüchtlinge untergebracht werden sollen. Im Dezember haben wir beschlossen, zu helfen.«
Seit einiger Zeit machen sich Fußballvereine für Flüchtlinge stark, gehen gezielt auf Asylbewerber zu, laden sie zum Mitspielen ein und bilden sogar eigene Flüchtlingsmannschaften. Beim SV Babelsberg in Potsdam gibt es seit 2014 das Team »Welcome United Nulldrei«, das ausschließlich aus Flüchtlingen besteht. In Hamburg hat sich der FC Lampedusa, ebenfalls ein reines Flüchtlingsteam, gegründet. Andere Vereine integrieren Flüchtlinge in die Mannschaften. Auch der TSV Tröglitz verfolgt nun dieses Ziel.
Vom Deutschen Fußball-Bund kamen dafür über die Egidius-Braun-Stiftung schon 500 Euro Soforthilfe für Fußballkleidung, Schuhe und Bälle. Ansonsten, so Jörg Heinold, würden die Flüchtlinge in Tröglitz alles vorfinden, was man zum Fußballspielen braucht: »Wir haben zwei Sportplätze, Umkleidekabinen, ausgebildete Übungsleiter und auch ein paar Leute, die gut Englisch sprechen.«
Der Klub orientiert sich an positiven Beispielen in der Umgebung: »In der Nachbarstadt Zeitz hat es auch gut funktioniert. Dort gibt es ein großes Asylbewerberheim mit 500 Plätzen. Bei Motor Zeitz hat es ein Flüchtling sogar bis in die erste Männermannschaft geschafft«, berichtet Heinold. Wenn so etwas auch beim Kreisligisten Tröglitz gelänge, wäre es natürlich toll. Allerdings sei es schon gut, die Flüchtlinge »einfach nur ins Vereinsleben zu integrieren, so dass Menschen unterschiedlicher Kulturen in Kontakt treten können«.
Das Dorf, das durch Rassismus in die Schlagzeilen geriet, tut vieles, um seinen ramponierten Ruf wiederherzustellen. Viele sagen, den Tröglitzern werde Unrecht getan. Auch Jörg Heinold berichtet, er habe im Klub nie rechte Tendenzen erlebt: »Wir haben unsere Pläne früh öffentlich gemacht. Auch in Tageszeitungen hat man davon gelesen. Wir sind auch des öfteren darauf angesprochen worden. Ich habe nie kritische Stimmen wahrgenommen.«
Im April habe man im Rahmen einer turnusmäßigen Mitgliederversammlung noch einmal über das Thema Flüchtlinge beim TSV gesprochen, auch da habe es von niemandem Widerspruch gegeben. »Die Leute gehen offen damit um. Und wir hatten auch schon einmal einen syrischen Mitspieler. Der wurde auch schnell akzeptiert und behandelt wie alle anderen«, so Heinold.
Der 32-Jährige, der lange in Tröglitz gewohnt hat, seit 1991 Mitglied beim TSV ist und dessen Vater lange Jahre Vereinspräsident war, verteidigt nicht nur seinen Verein, sondern das Dorf gegen die Vorwürfe: »Natürlich weiß ich nicht, was in den Köpfen der Leute vor sich geht. Aber ich möchte an dieser Stelle klar betonen: Tröglitz ist kein braunes Nest.«
Das Spannungsfeld, in dem sich Tröglitz befindet, ist klar abgesteckt: Hier wohnen Leute, die bisher kaum Erfahrungen mit Menschen anderer Herkunft sammeln konnten und deren Lebensrealität eine andere ist als die von Großstädtern - was anfällig macht für Vorurteile. Jörg Heinold zeigt Verständnis für die Sorgen der »Dorfgemeinschaft«: »Gerade ländliche Regionen sind geprägt von Unwissenheit und Berührungsängsten gegenüber allem Neuen. So entstehen Spannungen. Und ich kann auch durchaus nachvollziehen, dass Menschen Respekt vor Veränderungen haben.« Gleichzeitig macht er aber deutlich, dass man sich »nicht zum Spielball von Nazis machen lassen« wolle. Denn: »Rechte Organisationen wie die NPD versuchen, die Ängste zu instrumentalisieren. Dem müssen wir uns entgegenstellen.«
Doch in den vergangenen Monaten haben Nazis in Tröglitz viel Freiraum genießen können. Sollten Flüchtlinge in einem solchen Umfeld überhaupt untergebracht werden? Antifaschistische Gruppen formulierten es bei einer Demonstration am 1. Mai in Tröglitz eindeutig: »Scheiß Drecksnest« war auf einem Banner zu lesen.
Jörg Heinold will sich davon nicht beirren lassen: »Wir müssen mit positivem Beispiel vorangehen, müssen eine Willkommenskultur zeigen. Die Flüchtlinge und die Einheimischen sollen offen aufeinander zugehen können. Auf keinen Fall dürfen wir uns abschotten vor Menschen, die aus Kriegsgebieten kommen und hier einfach nur in Frieden leben wollen.« Dafür biete Fußball die passende Plattform: »Ich denke, dass Mannschaftssportarten bessere Möglichkeiten bieten als Einzelsportarten, um Integration herzustellen. Im Fußball sind immer Interaktionen zwischen Menschen notwendig. Auf diesem Wege lernt man sich besser kennen.«
Auch Heinold, der mittlerweile in der Leipziger Südvorstadt wohnt und dessen »Horizont sich dadurch erweitert« hat, lernt dazu. Unter anderem hat er festgestellt, dass sich der Sport aus politischen Fragen nicht heraushalten kann: »Vor einem halben Jahr hätte ich noch gesagt: Wir müssen gar nichts tun, denn wir sind kein politischer, sondern ein Sportverein. Doch nach den schrecklichen Ereignissen der letzten Monate habe ich mir mehr und mehr Gedanken gemacht.« Und: »Ich empfehle jedem, das Dorf auch mal zu verlassen, um anderswo neue Erfahrungen zu sammeln.«
Wie es nun weitergeht mit den Plänen, Flüchtlinge zum Kicken einzuladen, ist indes noch offen. »Nach dem Brand des Asylbewerberheims ist noch nicht klar, ob überhaupt Flüchtlinge in Tröglitz landen. Deshalb lässt sich die Sache aktuell schlecht planen«, beklagt Heinold. Von dem Ziel, in friedlicher Nachbarschaft mit Flüchtlingen zusammenzuleben, ist das kleine Dorf jedenfalls noch ein ordentliches Stück entfernt.
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