Immer exklusivere Veranstaltung
Demokratie der Bessergestellten: Wie wenig sozial repräsentativ die Wahlen in Bremen waren, zeigen jetzt detaillierte Zahlen
Nach der Wahl in Bremen ist bereits mehrfach auf das Problem der sozialen Spaltung der Demokratie hingewiesen worden - etwa hier und hier. Eine aktuelle Studie der Bertelsmann Stiftung, die sich bereits seit längerem damit befasst, liefert nun noch einmal eine Menge Daten mit klarer Botschaft: »Das Wahlergebnis der Bremischen Bürgerschaftswahl ist sozial nicht repräsentativ.«
Je prekärer die Lebensverhältnisse in einem Stadtteil sind, desto geringer ist dort die Wahlbeteiligung - weshalb man sagen kann: »Die Demokratie wird auch in Bremen zu einer immer exklusiveren Veranstaltung der Menschen aus den mittleren und oberen Sozialmilieus der Stadtgesellschaft, während die sozial schwächeren Milieus deutlich unterrepräsentiert bleiben.«
Die Studie belegt, worüber schon seit längerem diskutiert wird. »Hinter einer sinkenden Wahlbeteiligung verbirgt sich eine zunehmende soziale Ungleichheit der Wahlbeteiligung. Die sozial stärkeren Gruppen der Gesellschaft beteiligen sich weiterhin auf vergleichsweise hohem Niveau, während die Beteiligungsquoten in den sozial schwächeren Milieus massiv einbrechen.«
Anhand bestimmter Milieu-Definitionen, deren Vorkommen in den Stadtteilen und den Bremer Wahldaten, entsteht ein letztlich hoch bedenkliches Bild: Die Wahlentscheidungen von Konservativ-Etablierten und Liberal-Intellektuellen sind in der Bürgerschaft deutlich überrepräsentiert.
Und das bei einer seit Jahren drastisch sinkenden Repräsentationsquote. Nimmt man die geringe Wahlbeteiligung (50,1 Prozent) und bezieht ungültige Stimmen sowie die in Bremen lebenden Nichtdeutschen ohne Wahlrecht mit ein, repräsentiert das Landesparlament nur noch die Stimmen von 41,6 Prozent aller über 16-Jährigen. Eine Regierung, die von diesem Parlament nominiert wird, ist praktisch die Regierung eines Fünftels der Wahlberechtigten.
An anderer Stelle ist gefragt worden: »Haben CDU/SPD/Grüne denn überhaupt ein reales Interesse, etwas gegen die geringe Wahlbeteiligung zu tun? Ist es ist nicht im Gegenteil so, das man ganz froh ist, wenn die sozial Schwachen, die Prekarisierten, das untere Drittel nicht mehr wählt?«
Demokratiepolitisch betrachtet dürfte eigentlich niemand darüber froh sein, die Legitimation parlamentarischer Demokratie ist hier insgesamt in Gefahr. Nun kann man sagen: Wer so argumentiert, sitzt einer Fiktion von Demokratie auf, die klassenpolitische Fragen ausblendet. Richtig ist: Es »profitieren« die Parteien, die eher von den besser situierten Milieus gewählt werden.
Es gibt aber Unterschiede zwischen den Parteien. In den Nichtwählerhochburgen schneiden SPD, die Rechtspartei AfD und die Linkspartei um etwa ein Drittel schlechter ab als im Landesdurchschnitt. Weitaus größer ist die Differenz bei CDU, Grünen und vor allem der FDP. Die Union kommt in den Nichtwählerhochburgen auf Ergebnisse die um knapp 43 Prozent niedriger liegen als das Landesergebnis; die Grünen um 57 Prozent, die Freidemokraten sogar um 62 Prozent.
Inwiefern umgekehrt in den Stadtteilen mit besonders hoher Wahlbeteiligung welche Partei über- oder unterdurchschnittlich abgeschnitten hat, müsste anhand der vorliegenden Daten der Bertelsmann-Stiftung noch einmal gesondert überprüft werden. Dass die Konservativ-Etablierten und die Liberal-Intellektuellen, die in der Bürgerschaft deutlich überrepräsentiert sind, eher nicht die linken und sozialdemokratischen Parteien wählen, liegt freilich nahe und kommt im Bremer Wahlergebnis ja auch zum Ausdruck. Mit Blick auf die Linkspartei wäre zu fragen, ob diese bei einer höheren Wahlbeteiligung der ärmeren Milieus auch wirklich besser abgeschnitten hätte.
Besonders stark ausgeprägt ist der Zusammenhang von Wahlbeteiligung und sozialer Lage laut der Studie, wenn man sich die Erwerbslosigkeit anschaut: »Je mehr Haushalte in einem Ortsteil von Arbeitslosigkeit betroffen sind, desto geringer ist die Wahlbeteiligung.« Ähnliche Zusammenhänge finden sich bei Bildungsabschlüssen und der durchschnittlichen Kaufkraft - man kann sagen: Je höher, desto Wähler.
Im Deutschlandfunk habe ich die soziale Beteiligungskrise unter anderem mit den Worten kommentiert:
Gegen die soziale Spaltung der Demokratie helfen eben keine Mitmach-Appelle - dagegen hilft nur eine andere Politik.
Das geht beim politischen Gestaltungsspielraum auf Landesebene los, der zurzeit durch Schuldenbremse und Schwarze-Null-Ideologie amputiert wird – damit die Wahl nicht nur eine darüber ist, wer was wegkürzt oder -schließt.
Das hört bei einer mutigen Umverteilungspolitik noch nicht auf, die auch denen eine bessere soziale und kulturelle Teilhabe ermöglicht, die im kapitalistischen Hamsterrad gestolpert sind oder von Anfang an keine Chance hatten.
Abgehängt sein ist kein persönliches Schicksal, es ist ein gesellschaftliches Problem - und könnte also gelöst werden. Dazu müsste die soziale Misere Hunderttausender allerdings endlich wichtiger genommen werden als parteipolitische Siegerkränze wie etwa die Maut.
Nicht zuletzt ist eine Renaissance demokratischer Kultur vor Ort, in der Nachbarschaft, gerade in den Problem-Stadtteilen nötig. Denn da, wo viele Nichtwähler schon sind, werden es beim nächsten Mal noch mehr sein. Vor allem hier müsste in Beteiligung, in konkrete soziale Verbesserung und so in die Wiedererweckung der demokratischen Hoffnung investiert werden: dass sich Mitreden für die Ärmeren wirklich lohnt. Und wählen auch.
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