EU berät über Militär gegen Schleuserboote
Gauck fordert gerechtere Verteilung von Flüchtlingen / Entwicklungsminister Müller dagegen - Menschenrechtsbeauftragter: Zerstörung von Schleuserschiffen prinzipiell richtig / EU-Außenminister beraten über Pläne Mogherinis
Update 15.10 Uhr: Bundespräsident Joachim Gauck hat eine gerechtere Verteilung der Flüchtlinge innerhalb der Europäischen Union gefordert. »Wir brauchen eine deutliche Entwicklung zu mehr Lastenteilung«, sagte er am Montag nach einem Treffen mit dem estnischen Präsidenten Toomas Hendrik Ilves. Der Vorschlag der EU-Kommission für eine Quotenregelung sei ein Fortschritt, dem weitere Schritte folgen müssten. »Problem erkannt«, sagte er.
Gauck wollte die Ablehnung der Quoten durch Estland und andere baltische Staaten nicht direkt kommentieren. »Ich erwarte Schritt für Schritt eine Einigung mit den Ländern, die sich noch zurückhaltend zeigen«, sagte er. Ein kleines Land wie Estland sei hier aber nicht entscheidend.
Ilves wies darauf hin, dass nicht nur osteuropäische Länder, sondern auch andere Staaten Einwände gegen die Pläne der EU-Kommission hätten. Er warf Brüssel vor, das Konzept sei nicht transparent und schlecht erklärt.
Update 14.40 Uhr: Trotz erheblicher Bedenken aus der Bundesregierung verfolgt die Europäische Union ihre Pläne für einen Militäreinsatz gegen Schleuserbanden weiter. In Brüssel kamen am Montag die Außen- und Verteidigungsminister der 28 Staaten zusammen, um über politische und rechtliche Details des Einsatzes zu sprechen. Sie rechne damit, von den Ministern grundsätzlich grünes Licht für weitere Vorbereitungen zu bekommen, unterstrich die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini zum Auftakt der Gespräche.
Der Militäreinsatz der EU soll vorrangig dem Ziel dienen, systematisch Schleuserboote zu identifizieren und zu zerstören. Kritik an einem solchen Vorhaben kommt unter anderem von Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU). »Dies birgt zu viele Risiken und löst die eigentlichen Probleme nicht«, sagte Müller der »Passauer Neuen Presse« (Montagsausgabe). Schleuserboote sollte ohne militärische Operationen aus dem Verkehr gezogen werden, unterstrich der CSU-Politiker. Er sprach sich für polizeiliche und geheimdienstliche Maßnahmen im Kampf gegen Schlepperbanden aus.
Update 9.35 Uhr: Die Rettung schiffbrüchiger Migranten im Mittelmeer hat für Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) weiter Vorrang im Umgang mit der Flüchtlingskrise. »Die oberste Priorität muss die Seenotrettung von Flüchtlingen haben«, sagte von der Leyen am Montag in Brüssel vor Beginn des Trefffens zwischen den EU-Außen- und Verteidigungsminister.
Auf die militärischen Pläne der EU ging von der Leyen nicht konkret ein. Parallel zur Seenotrettung müsse sich Europa »um die Ursachen kümmern, die Menschen dazu bewegen, diese hoch riskante Flucht über das Meer zu wagen«, unterstrich sie. »Da sind viele schwierige Fragen zu beantworten, rechtliche Probleme zu lösen. Die konkrete Umsetzung wird über den heutigen Tag noch hinausgehen, aber ich bin zuversichtlich, dass wir heute auch ein gutes Stück vorankommen werden.«
Die beiden Marineschiffe, die Deutschland ins Mittelmeer geschickt habe, hätten bisher über 700 Menschen aus Seenot gerettet, so die Ministerin.
+++ EU berät über Militär gegen Schleuserboote +++
Berlin. Die Außen- und Verteidigungsminister der EU-Staaten beraten am Montag in Brüssel über die umstrittenen Pläne für eine Militäroperation gegen Schleuser im Mittelmeer. Wichtigstes Ziel des Einsatzes soll das Aufspüren und Zerstören von Schleuserbooten sein, hieß es. An den Gesprächen nehmen auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) teil. Die Opposition hat sich vehement gegen die Aktion ausgesprochen.
Auch Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) ist strikt gegen einen solchen Einsatz vor der libyschen Küste. »Schleuserboote aus dem Verkehr ziehen ja, das aber ohne militärische Operationen. Dies birgt zu viele Risiken und löst die eigentlichen Probleme nicht«, sagte er der »Passauer Neuen Presse«. Stattdessen müssten vor allem die Ursachen der Flucht über das Mittelmeer in den Herkunftsländern der Menschen bekämpft werden.
Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Christoph Strässer, hält die Zerstörung von Schlepperbooten für prinzipiell richtig. Damit werde sich das Problem aber nicht lösen lassen. »Kern der Lösung kann nur sein, dass die Fluchtursachen beseitigt werden«, sagte der SPD-Politiker im WDR. Mit humanitärer Hilfe müsse die Lage der Menschen vor Ort verbessert werden. »Wir müssen ihnen den Weg über das Mittelmeer ersparen.«
Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini hat vorgeschlagen, Schiffe, die zur Überfahrt von Flüchtlingen nach Europa genutzt werden, gezielt zu zerstören. Als Voraussetzung dafür gelten eine Resolution des UN-Sicherheitsrates oder eine Verständigung mit Libyen. Viele Fragen sind aber noch offen. So werden mögliche negative Auswirkungen auf die UN-Friedensbemühungen in Libyen befürchtet. Auch die international anerkannte libysche Regierung in Tobruk sieht die Pläne äußerst skeptisch.
Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hatte sich am Wochenende ebenfalls zurückhaltend zu einem solchen EU-Militäreinsatz geäußert. Bei der Besichtigung des Flüchtlingslagers Saatari bekräftigte er am Samstag, dass für ihn die Rettung von Hilfesuchenden in Seenot im Vordergrund stehe. Die Bundeswehr beteiligt sich im Mittelmeer mit zwei Schiffen an der Seenotrettung. Die Soldaten haben nach Bergungsaktionen bereits mehrere Schleuserboote versenkt.
Die Migrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz, und der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth, mahnten, die Krisen in den Herkunftsstaaten der Flüchtlinge seien nicht mit Zäunen an den EU-Außengrenzen oder Patrouillenbooten im Mittelmeer zu lösen. »Wir müssen die Fluchtursachen bekämpfen, nicht die Flüchtlinge«, schrieben sie in einem Gastbeitrag in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«. Die Aufnahme von Flüchtlingen in der EU solle nach der tatsächlichen Leistungsfähigkeit der Mitgliedsländer erfolgen. Zudem müssten in allen EU-Ländern humane Aufnahmebedingungen und faire Asylanerkennungsverfahren eingeführt werden.
Die Krisen in den Herkunftsstaaten der Flüchtlinge seien nicht mit Zäunen an den Außengrenzen der EU oder Patrouillenbooten im Mittelmeer zu lösen, schreiben die SPD-Politiker: »Wir müssen die Fluchtursachen bekämpfen, nicht die Flüchtlinge!« Dabei seien alle Politikbereiche einzubeziehen - von der Außen- und Sicherheitspolitik über Handel bis hin zu humanitärer Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit. Wer in Europa Asyl beantragen wolle, dürfe sich nicht mehr länger in Lebensgefahr begeben, fordern Özoguz und Roth. Den kriminellen Schlepperbanden müsse das Handwerk gelegt werden. Der heimischen Bevölkerung müsse zudem offen gesagt werden: »Die Zahl jener, die nach Deutschland und Europa kommen, wird künftig eher größer, nicht kleiner.«
Tausende Migranten machen sich bei gutem Wetter und ruhiger See vor allem von Libyen aus auf den Weg über das Mittelmeer. Die meisten kommen in Italien an. In den ersten vier Monaten dieses Jahres kamen der Internationalen Organisation für Migration (IOM) zufolge 1.780 Flüchtlinge ums Leben. Mitte April etwa war ein Schiff mit etwa 800 Menschen an Bord vor der libyschen Küste gekentert. Nur rund 24 Leichen wurden geborgen, 28 Menschen überlebten. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft in Italien sollen die Leichen der restlichen Flüchtlinge nicht geborgen werden. »Die Bergung ist für die Ermittlungen nicht notwendig«, zitierte die Zeitung »La Repubblica« am Sonntag den Staatsanwalt von Catania, Giovanni Salvi. Eine solche Aktion sei zu teuer und zu langwierig. »Wenn es die Regierung oder andere aus humanitären Gründen machen wollen, ist das gut.« Agenturen/nd
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