»Mein Kampf« - auf der Bühne und im Land

Ein Theaterabend in Neustrelitz versuchte, den Einzug der NPD in den Landtag zu verhindern

  • Hanno Harnisch
  • Lesedauer: 5 Min.
Der Marstall gleich neben dem Landestheater Neustrelitz ist eine Baustelle. Neben nagelneuen Holzsäulen stehen noch einige alte. Der Fußboden ist noch genauso holprig wie vor 150 Jahren. Der Marstall ist eine Spielstätte, die für Theater zwischen den Zeiten gut ist. Dort hatte vor genau einem Jahr auch George Taboris Farce »Mein Kampf« Premiere. Am Donnerstag vor der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern gab es eine Sondervorstellung mit anschließender Diskussion. Ein bemerkenswerter Abend in der Spannung zwischen Kultur und Politik. Die ehemalige Großherzogliche Pferdehalle ist passendes Gehäuse für das Männerwohnheim in der Wiener Blutgasse, in welches es den jungen Adolf Hitler verschlägt, der sich mit seinen im Zwielicht gemalten Bildern an der Kunstakademie bewerben will. Der jüdische Buchhändler Schlomo Herzl kümmert sich rührend um den exaltierten Gast, verpasst ihm nicht nur seinen charakteristischen Bart, sondern inspiriert ihn gleich noch zu »Mein Kampf«. Was da im Männerasyl zwischen Betten, Badewannen, Hühnerkäfigen und Toiletten abläuft, ist hochgradig subversiv. Der Jude Schlomo (anrührend gespielt von Ralph Sählbrandt) bringt Hitler (Franka Anne Kahl in einer Traumbesetzung) Demagogie bei: »Vergiss Schlomo, einen Juden, sprich nur von den Juden, und du wirst ein König sein, der über eine Decke von Gebeinen schreitet.« Hinten an der Bühne ist eine große Uhr zu sehen, an der Herzls blutjunges Liebchen (bezaubernd entrückt: Juliane Freistedt) die bruchstückhaften Ziffern und Zeiger mal zu Wörtern («Zweifel«), mal zu einem Hakenkreuz und schließlich zu 8.16 Uhr anordnet: Um diese Zeit blieb die Hiroshima-Uhr am 6. August 1945 stehen. Eine US-amerikanische Atombombe als eine Folge von Hitler: Regisseurin Annett Wöhlert will uns bewusst mit Tabori von der Farce ins Leben führen. Und wenn zum Schluss Hitlers »Tiroler Tölpel« die Wände des Marstalls in Neustrelitz mit Hakenkreuzen, Davidsternen und Hitlerfrätzchen besprühen, so ist das nicht nur bei Tabori so vorgesehen. Nein, auch zur Premiere wurde auf dem Marktplatz das Plakat von »Mein Kampf« beschmiert. Und keine Woche ist es her, da war der Marktplatz zur »Langen Nacht der Künste« zugepflastert mit »Wehrt euch!«-Plakaten der NPD, die sich anschickt, am Sonntag in den Schweriner Landtag einzuziehen, wenn sich denn die Umfragen bewahrheiten sollten. Die Plakate konnten übrigens entfernt werden, der Markt steht unter Denkmalschutz. Was aber ist mit der NPD? Wie sieht es mit dem Selbstschutz der Demokratie aus? Der Theaterintendant Ralf-Peter Schulze hat seine Befürchtungen produktiv gemacht und zur Diskussion gebeten nach dem Stück. Noch nie wohl war eine Vorstellung im Neustrelitzer Theater von so viel Polizeischutz begleitet worden. Offensichtlich braucht die Zivilgesellschaft auch Uniformen, wenn sie verteidigt werden soll. So keck aber auch die NPD im Wahlkampf bislang auftrat, den Weg ins Theater hatte sie nicht gefunden und gesucht. Dafür saßen dann unter dem Motto »Theater zeigt Gesicht« auf dem Podium: Gregor Gysi als Fraktionsvorsitzender der Linkspartei im Bundestag, die Landtagspräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Silvia Bretschneider (SPD), ihr Landtagskollege, der Vorsitzende der CDU-Fraktion, Armin Jäger, und der Berliner Chefredakteur der »Jüdischen Allgemeinen«, Christian Böhme. Der Moderator des Abends, der Rostocker Parteienforscher Nikolaus Werz, versuchte denn auch nach Kräften, von den Diskutanten nach diesem anregenden Theaterstück Vorschläge einzuholen, wie man sich dem Problem des Rechtsextremismus, was von Wahl zu Wahl »nur aufgeschoben« wird, zu nähern. Wohl kaum damit, dass für Aufklärungsprogramme immer weniger Finanzmittel bereitgestellt werden sollen. Wohl kaum auch damit, dass dieser Problemkreis in der Lehrerbildung immer noch keine Rolle spielt. Und auch, wenn es von den im Landtag vertretenen Parteien jetzt eine gemeinsame Erklärung gibt, auch wenn es im Land ein Netzwerk mit den vielfältigsten Aktivitäten gibt, so bleibt doch das Phänomen, dass die NPD auf dem Marsch in die Landtage und in die Köpfe ist. Gregor Gysi: »Die Rechten sind in Opposition zu Allem und Jedem: Die Nazizeit erscheint längst als ferne Geschichte«. Diese Partei besetzt alle Themen, außer die soziale Frage. Landtagspräsidentin Bretschneider hat selbst Kinder, die schon von Rechten attackiert wurden: »Ich habe Angst vor dem, was uns hier ins Haus steht.« Eine Frau von der Kirche aus dem Publikum berichtet von einer toten Katze, die eines Morgens vor der Haustür hing. Auch der CDU-Fraktionschef bekennt: »Wir haben zu lange die Warnzeichen nicht gesehen.« Der Chefredakteur der »Jüdischen Allgemeinen« ist der einzige Nichtpolitiker auf dem Podium. Er muss sich nicht unbedingt freuen, dass die Parteien jetzt zusammengefunden haben gegen Rechts. Für ihn ist das selbstverständlich. Unverständlich aber, »dass sich die Zivilgesellschaft immer nur zu Wahlen darum kümmert«. Er erntet Widerspruch und Zustimmung. Aber dafür ist es ja auch eine Diskussion. In die dann auch das Publikum einbezogen wird. Schüler geben sehr klare Berichte aus ihren Gymnasien, was läuft und was nicht. So hören wir, dass ein Schüler, der rechte CDs, die vor der Schule verteilt werden, einsammelte und sodann »entsorgte«, mit dem Leisten von Sozialstunden bestraft wurde. »Selbstbewusstsein wird von der NPD an junge Leute zum Nulltarif verkauft«, so Gregor Gysi. Er stellt die Frage in den Raum, warum die Demokratie so wenig attraktiv ist für junge Leute. Eine gute Frage. Aber keine sehr schlüssige Antwort an diesem Abend. Immerhin die Initiative eines Theaters. Dass man seinen Feind lieben soll, bevor er zum Feind wird, diese Botschaft Taboris kam zumindest in der ersten Hälfte des Abends sehr sinnlich über die Bühne. Und so waren sich am späten Abend alle (fast) einig und doch so viele Fragen offen. Und die Polizisten waren immer noch da. Und fuhren friedlich aufs Revier zurück.

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