Luckes Weckruf vertieft die Kluft
Wirtschaftsliberal oder nationalistisch-konservativ - die AfD steht vor der Spaltung
Viele Beobachter hatten sich gefragt, wo AfD-Gründer Bernd Lucke die mit Spannung erwartete Pressekonferenz zur Zukunft der Partei abhalten würde. Als könnte der Veranstaltungsort erahnen lassen, ob der ehemalige Ökonomie-Professor der von ihm ins Leben gerufenen Alternative für Deutschland treu bleibt. Lucke hadert mit dem nationalistisch-konservativen Flügel, der in der Partei mittlerweile Oberwasser hat. Insofern kann man seine Entscheidung, das Pressegespräch in einer Straßburger Kellerkneipe anzuberaumen, auch als Beleg der momentanen Kräfteverhältnisse sehen. Den wenigen geladenen Journalisten versicherte Lucke, er plane weder die Gründung einer neuen Partei noch betreibe er eine »Initiative zum Massenaustritt aus der AfD«. Entsprechende Mutmaßungen hatte Lucke selbst befeuert, als er am Montag den »Weckruf 2015« lancierte.
Der Verein soll jenen AfD-Mitglieder als Plattform dienen, die sich wie Lucke vor allem von wirtschaftsliberalen Motiven leiten lassen. Die Satzung des Vereins liest sich, als könnte auf ihrer Grundlage auch eine neue Partei entstehen. So können Landesverbände gegründet und Mitgliederentscheide abgehalten werden. Ein Bundesvorstand und ein Konvent sollen über die programmatischen Haltelinien wachen. Neben Lucke gehören die Europa-Abgeordneten Hans-Olaf Henkel, Bernd Kölmel, Joachim Starbatty und Ulrike Trebesius zu den Initiatoren des Weckrufs. Angeblich sollen bereits mehr als 1000 AfD-Mitglieder den Vorstoß unterstützt haben. Auffällig: Die Vorsitzenden der Landesparteien sucht man vergebens auf der Liste, ebenso wie die ostdeutsche Parteiprominenz. Obwohl die AfD in den Neuen Ländern in drei Landesparlamenten sitzt, konnten sich nur drei Thüringer Abgeordnete zu einer Unterschrift durchringen. Sicher ein Indiz dafür, dass der nationalistisch-konservative Flügel, der viele Schnittmengen mit der islamfeindlichen Pegida-Bewegung sieht, im Osten besonders stark ist.
Lucke will sich auf dem AfD-Parteitag Mitte Juni zum alleinigen Vorsitzenden wählen lassen. Zwar betonte er in Straßburg, die Vereinsgründung sei lediglich »der Versuch, die AfD zu retten«. Doch der »Weckruf« dient vor allem der Mobilisierung seiner Parteigänger. Auch wenn ihn die Medien oft als AfD-Chef bezeichnen: Momentan ist Lucke nur einer von drei Sprechern. Gleichberechtigt neben ihm sitzen Konrad Adam und Frauke Petry. Die sächsische AfD-Chefin forderte ihren Amtskollegen am Dienstag auf, seinen »Weckruf« abzublasen. Die Mehrzahl der Mitglieder empfinde Luckes Vorstoß als »Affront«. Dieser ziele mit der Gründung eines politisch tätigen Vereins zudem auf ein »Konkurrenzangebot« zur AfD ab. Es müsse juristisch geprüft werden, ob das mit der Satzung vereinbar sei.
Die Frontfrau des konservativen Flügels zeigte sich am Mittag erfreut über versöhnliche Signale, die Lucke bei einem zuvor in Straßburg abgehaltenen Pressegespräch ausgesandt hatte. Dessen Angebot zu Einigungsgesprächen begrüße sie. Darin müssten »alle eingebunden werden, die in der AfD politisch eine Rolle spielen«, sagte Petry. Details sollten auf der turnusgemäßen Sitzung des Parteivorstands am Freitag besprochen werden.
Petry ließ durchblicken, dass ihr Verhältnis zu Lucke nicht mehr von Vertrauen geprägt ist. Dessen Versicherung, er plane mit seinen Mitstreitern keine Abspaltung, nehme sie zur Kenntnis; sie hoffe aber, »dass wir uns nicht irgendwann an den Satz erinnern müssen: Niemand hat die Absicht, eine Partei neu zu gründen«.
Petry bestätigte Meldungen, wonach Lucke der Zugriff auf Mitgliederdaten verwehrt werden sollte. Sie und ihr Vorstandskollege Konrad Adam hätten gemeinsam verfügt, dass der Zugang zum so genannten Parteimanager für alle drei Sprecher gesperrt wird, damit »keine Alleingänge« möglich seien. Der Umstand, dass Lucke den »Weckruf« per Rundmail verteilt habe, zeige aber, dass dieser offenbar weiter Zugang habe. Als völlig offen sieht Petry die künftige Rolle Luckes an der Parteispitze. Die Politikerin bekräftigte ihre Aussage, sie werde nicht per Kampfkandidatur gegen den Parteigründer antreten. Vier Wochen vor dem Bundesparteitag, sieht sie die Chancen für Luckes Vorhaben schwinden, alleiniger Parteichef zu werden.
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