Verwirrung nach der Bremer Wahl
Staatsanwaltschaft ermittelt wegen möglicher Fälschung - ein Gymnasiast unter Verdacht
Nun wird die Wahl im Zwei-Städte-Land Bremen wahrscheinlich auch noch ein gerichtliches Nachspiel haben. Die Bremer Staatsanwaltschaft hat ein »Ermittlungsverfahren wegen Verdachts der Wahlfälschung anlässlich der Wahl zur Stadtverordnetenversammlung in Bremerhaven« eingeleitet. Das ist einer Pressemitteilung der Bremer Staatsanwaltschaft zu entnehmen. Weiter heißt es darin, die Ermittlungen seien aufgrund der Strafanzeige des Bremerhavener Stadtwahlleiters in Gang gesetzt worden. Es bestehe der Verdacht, dass ein Mitglied eines Auszählwahlvorstandes zur Verdeckung eines Zählfehlers neun Stimmzettel mit insgesamt 45 Stimmen, »die tatsächlich nicht abgegeben worden waren, zu Unrecht als Stimmen der Piratenpartei erfasst hat«.
Es handelte sich beim Urnengang vor rund drei Wochen um zwei Wahlen: Gewählt wurde der Landtag des Bundeslandes sowie zugleich auch die kommunalen Parlamente der beiden Kommunen Bremen und Bremerhaven. In der Stadt Bremen sind dies die Beiräte, in Bremerhaven ist es die Stadtverordnetenversammlung.
Während in Bremen zur Stimmauszählung wieder zahlreiche Freiwillige gesucht und eingesetzt wurden, übernahm in der Schwesterstadt an der Wesermündung erneut die Schülerschaft des gymnasialen Zweigs der Lutherschule das Auszählen. So kommt es, dass nun ein 18-Jähriger als Verdächtiger für die vermutete Wahlfälschung gilt. Was ein Vergehen ist, das mit einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren geahndet werden kann.
Allerdings mag niemand dem jungen Mann - wenn er denn tatsächlich für die Tat verantwortlich ist - kriminelle Energie unterstellen, sondern »lediglich« den Versuch, einen Fehler zu verschleiern, anstatt korrekt neu auszuzählen. Auch wird bisher nicht in Erwägung gezogen, bei kommenden Wahlen keine Kooperation mehr mit der Lutherschule einzugehen.
Wie es im Detail zu den 45 falschen Stimmen für die Piratenpartei kam und welches die konkreten Beweggründe waren, das muss freilich erst noch abschließend geklärt werden. Und natürlich auch, ob der Verdächtige wirklich der Täter ist - und wenn ja, ob er tatsächlich allein handelte.
Sicher ist bisher nur eines: In Bremerhaven muss neu ausgezählt werden. Das sieht auch die AfD Bremerhaven so. Wie Radio Bremen am Donnerstag meldete, will sie gegen das Wahlergebnis in der Seestadt vorgehen und begründet dies unter anderem mit den Ermittlungen gegen die Auszähler der Lutherschule. Die rechte Partei hat zwar bei der Wahl für die Bremische Bürgerschaft die Fünf-Prozent-Hürde übersprungen, ihr Ergebnis reicht dort aber nur für vier Sitze - für den Fraktionsstatus im Landtag müssen es fünf Sitze sein. In Bremerhaven wiederum fehlen der AfD nach bisherigem Auszählungsstand 50 Stimmen zu einer Fünf vor dem Komma - beim Bremer Fünf-Stimmen-Wahlrecht können sich diese 50 Stimmen auf zehn Wahlzettel konzentrieren. Sollten bei einer Neuauszählung in Bremerhaven nun eventuell 50 Kreuze mehr für die AfD gefunden werden, würde das für die Partei einen Sitz mehr in der Bremischen Bürgerschaft bringen und damit den Fraktionsstatus. Was wiederum mehr Rechte dort und auch mehr Geld bedeutet.
Aber das sind nicht die einzigen Turbulenzen im Zusammenhang mit der Bremer Wahl. Da gibt es den Bauunternehmer Mehmet Sirri Acar, der trotz eines ziemlich hoffnungslosen SPD-Listenplatzes einen Sitz als SPD-Abgeordneter ergatterte. Durch das Bremer Wahlsystem, das auch Personenwahl beinhaltet, reichten dafür 1500 Stimmen, was beim Fünf-Stimmen-Wahlrecht womöglich nur 300 Wähler bedeutet.
Erst nach der Wahl wurde öffentlich, dass Acar sich demnächst vor Gericht verantworten muss. Es geht um Steuer- und Sozialbetrug. Selbst wenn er verurteilt werden sollte, bleibt ihm das Mandat als Abgeordneter, weil er als Person gewählt wurde. Bisher betonen alle Beteiligten die geltende Unschuldsvermutung. Der SPD-Parteivorsitzende Dieter Reinken erklärte allerdings, er hoffe, dass Acar die richtigen Konsequenzen ziehen werde, falls er verurteilt würde.
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