Halte dich tapfer am Rand

Hans-Eckardt Wenzel und Antje Vollmer suchen einander in Fassbinders Werk

  • Martin Hatzius
  • Lesedauer: 4 Min.

Auf den ersten Blick scheinen die Namen auf dem Buchdeckel überhaupt nicht zusammenzupassen. Ein Briefwechsel zwischen Antje Vollmer, der Grünen-Politikerin aus dem Westen, und Hans-Eckardt Wenzel, dem Liedpoeten aus dem Osten, liegt hier vor, eine Korrespondenz, die wen? Fassbinder! zum Gegenstand hat. Aber genau darum geht es den beiden, die einander offenbar seit Jahren in einer Art skeptischer Freundschaft verbunden sind, und darum geht es ihrem Buch: sich vom ersten Blick nicht in die Irre führen zu lassen und, so der Titel, »Hinter den Bildern die Welt« zu erkennen. Warum aber Fassbinder? Ganz einfach: weil es möglich war.

Die Fassbinder Foundation bot Vollmer und Wenzel die Gelegenheit, an mehreren Abenden in einem kleinen Kino in Neustrelitz das gesamte (!) Werk des Filmemachers zu sehen. Und die beiden witterten darin die Chance, »unseren Dialog fortzuführen, ohne über unmittelbare, aktuelle Erfahrungen reden zu müssen«. Fassbinders Filme »als eine Lupe« zu nehmen oder »als eine besondere Hinsicht auf die Widerspiegelung der alten Bundesrepublik« (Vollmer), »an einem künstlerischen Werk unsere Voreingenommenheit zu entmachten«, »ohne Vorsicht oder Vorhersicht« (Wenzel) - mit solchen Zielen gingen sie ans Werk, an Fassbinders und an ihr eigenes.

Was dieses Buch von anderen Monografien unterscheidet, ist die doppelte Erkenntnis, die sich in ihm entwickelt. So viel wir über Fassbinder erfahren, so viel erfahren wir über die Autoren, über ihr jeweiliges Leben in der BRD und der DDR, über ihr Selbstverständnis und ihren Stolz und Zorn, über das Fortwirken der Geschichte in den Biografien und in der neuen Gesellschaft. »Filme«, zitiert Wenzel Fassbinder einmal, »müssen irgendwann anfangen, lebendig zu werden, dass man fragt, wie sieht das eigentlich mit mir und meinem Leben aus«. Genau diese Frage ist in jedem der zwischen Juni 2014 und April 2015 verfassten Briefe präsent.

Frappierend ist zum Beispiel, wie Wenzel, der zehn Jahre nach Fassbinder im anderen Deutschland Geborene, sich dem mit jedem Film weiter annähert, bis er das Gefühl hat, ihn persönlich zu kennen - und sich in ihm zu spiegeln? »Er misstraut den Heilsverkündern«, heißt es da über Fassbinder, »aber dennoch treibt ihn die Frage um, wie diese Welt, die so lange schon von zerstörerischer Ungleichheit bestimmt wird, zu ändern wäre.« Mit dem Satz wäre auch Wenzel treffend beschrieben. Eine seiner Liedzeilen kommt mir in den Sinn: »Halte dich von den Siegern fern, halte dich tapfer am Rand.« Fassbinder, schreibt Wenzel, »war Bestandteil der BRD, wenn auch vom Rande her. Er gehörte dazu. Er attackierte sie, wo er nur konnte, aber nicht aus Rechthaberei oder ideologischer Arroganz, sondern auch einer tiefen Sehnsucht nach Schönheit, prall und vital.« Ein - unbewusstes? - Selbstporträt.

Wenzel zeigt sich in dem Briefwechsel als Philosoph, als Aphoristiker auch: »Wenn die Liebe verschwunden ist, streiten sich die Leute über einen schmutzigen Löffel«. Vollmer beschreibt, erinnert und reflektiert eher konkret und malt dabei mit Worten Bilder. »Ich habe wenig verstanden«, schreibt sie einmal nach einem der Filmabende, »und viel gesehen«. Schön auch, wie die beiden einander, von Fassbinder angestoßen, abtasten, oft fragend: Gab es bei Euch damals überhaupt Kitas?, will Wenzel wissen. Gab es Valium bei Euch?, fragt Vollmer.

Je tiefer sie in das Werk eintauchen, desto interessanter werden die Fragen, die sie stellen und die Antworten, die sie erproben. Warum kommen in diesen Filmen kaum Landschaften vor und fast keine Kinder? Was verkörpern die vielen Frauen, die ja nicht nur die Titel von Fassbinders Filmen dominieren? Wie setzte er die Homosexualität ins Bild? Warum spielt die Gewalt eine so große Rolle? Und weshalb eigentlich geistert, lange bevor aus Döblins »Berlin Alexanderplatz« ein Fassbinder-Film wurde, ständig Franz Biberkopf durch dessen Werk?

»An einem künstlerischen Werk unsere Voreingenommenheit zu entmachten« - auch jene, die man gegeneinander pflegt; das war das eingangs von Wenzel formulierte Ziel des Buches. Ist es gelungen? Zumindest wird hier ein großer Schritt getan, auf Fassbinder zu und aufeinander. »Wir schreiben ja auch gegen das Vergessen unserer Erfahrungen an«, konstatiert Wenzel am Schluss, »und Fassbinder kämpfte in allen seinen Filmen für ein Gedächtnis der Gesellschaft«. Nun ist es um ein paar hellwache Zellen reicher.

Antje Vollmer, Hans-Eckardt Wenzel: Hinter den Bildern die Welt. Ein Briefwechsel. matrosenblau Verlag, 146 S., brosch., 17 Euro.

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