Warten auf den Schulpsychologen
GEW fordert für die Haushaltsverhandlungen eine Aufstockung der Stellen
Das Bild, das Schulpsychologe Matthias Siebert vom Leben als Berliner Schüler zeichnet, kann ganz schön deprimierend sein. Prüfungsangst, Essstörungen, Tod eines geliebten Menschen, schwer erkrankte Eltern, Armut oder Mobbing. Manchmal kann ein einziges Schlüsselerlebnis einen Menschen aus der Bahn werfen. Lehrern fallen zuerst merkwürdige Verhaltensänderungen an ihren Schülerinnen und Schülern auf. Wenn die Gespräche mit Eltern oder Mitschülern nicht mehr ausreichen, ist der Schulpsychologe meist der erste Ansprechpartner - nicht selten übrigens auch für überforderte Lehrer.
Viele Anfragen von Schulen müssen inzwischen lange aufgeschoben werden. »Wenn akute Fälle auftreten, weil beispielsweise eine Suizidankündigung vorliegt, dann kann es vorkommen, dass Termine anderer SchülerInnen verlegt werden müssen. Teilweise kommen so Wartezeiten bis zu drei Monate zustande«, erzählt Siebert, der auch Vorsitzender der Vereinigung der Berliner SchulpsychologInnen bei der Bildungsgewerkschaft GEW Berlin ist. Der aktuelle Betreuungsschlüssel gibt Siebert recht. Momentan liegt er laut GEW - zieht man die reine Verwaltungstätigkeit, die vor allem Psychologen in Leitungspositionen Zeit kosten ab - bei einem Schulpsychologen, der für 5757 SchülerInnen zuständig ist. In absoluten Zahlen kommen auf 84 Schulpsychologen in Berlin 417 000 SchülerInnen. Somit kümmert sich ein Psychologe im Durchschnitt um 15 Schulen. Besserung ist nicht in Sicht, denn laut Schulentwicklungsplan werden die Schülerzahlen bis zum Jahr 2022/23 noch einmal kräftig auf rund 468 000 steigen. Laut einer Empfehlung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, auf die sich die GEW bezieht, sollte das Verhältnis bei einem Psychologen für 2500 Kinder liegen. Für den Berufsverband Deutscher Psychologen stellt sich die Situation jedoch nicht ganz so dramatisch dar, denn Berlin nehme im bundesweiten Schnitt mit seiner Betreuungsquote den Spitzenplatz ein, heißt es in einer Verbandsanalyse aus dem November 2014.
»Die Stellen für Schulpsychologen sollten jedoch dringend an den wachsenden Schülerzahlen ausgerichtet werden«, sagt Sigrid Baumgardt, Vorsitzende der GEW Berlin, die am Montag einen Forderungskatalog in Bezug auf die Arbeitssituation der Berliner Schulpsychologen vorstellte. Außerdem müssten aus den vorhanden Stellen die Psychologen herausgerechnet werden, die künftig einen Verwaltungsposten in den Inklusionspädagogischen Beratungs- und Unterstützungszentren (SIBUZ) bekommen und deshalb nicht mehr direkt mit Schülern arbeiten.
Die Senatsverwaltungen befinden sich gerade in Verhandlungen zum Doppelhaushalt 2016/17. Die Bildungsverwaltung will laut einer Sprecherin reagieren und vier neue Stellen für Schulpsychologen anmelden, außerdem sollen die SIBUZ teilweise von Pädagogen geleitet werden. Insgesamt 25 zusätzliche Stellen hält hingegen die GEW für nötig, um dem Beratungsbedarf gerecht zu werden. Noch wenden sich die Schulen an eines der 13 Schulpsychologischen Beratungszentren (eines ist nur für die Oberstufenzentren zuständig) im jeweiligen Bezirk und warten im schlimmsten Fall monatelang auf einen Termin. »Bezogen auf die Persönlichkeitsentwicklung eines Kindes sind Wartezeiten von drei Monaten viel zu lang«, sagt Schulpsychologin Andrea Renz.
Eine große Herausforderung bleibt laut GEW der Umgang mit den steigenden Flüchtlingszahlen. »Ein Großteil der Kinder in den Lerngruppen für Neuankömmlinge ist traumatisiert«, sagt Baumgardt. Im kommenden Haushalt soll laut GEW berlinweit nur eine Stelle für die rund 4000 Flüchtlingskinder neu geschaffen werden.
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