Rohingya suchen eine Bleibe
Myanmar ignoriert seine Minderheit und behandelt sie als «staatenlose Bengali Muslime»
Der südafrikanische Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu, die iranische Menschenrechtsaktivistin Shirin Ebadi und der frühere Präsident von Osttimor, Jose Ramos-Horta, haben kürzlich auf einem Treffen in Oslo scharf kritisiert, dass das, was gegenwärtig mit den Rohingya geschieht, »nichts anderes als Völkermord« sei. Der Dalai Lama, Oberhaupt der tibetischen Buddhisten, bat die myanmarische Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi, ihre Stimme für die Rohingya zu erheben.
Das Außenministerium Myanmars wies die Kritik der Menschenrechtsaktivisten vehement zurück und behauptete: Die Regierung bemühe sich um Vertrauen zwischen Buddhisten und Muslimen und setze sich dafür ein, »die Nationalität jener Bengalen zu klären, die seit vielen Jahren in Myanmar leben«. Aung San wich, wie sie es schon seit Jahren tut, einer unmissverständlichen Stellungnahme mit der Bemerkung aus, es handele sich um ein »kompliziertes Problem«.
Das stimmt allerdings. Dieses Problem stammt aus der britischen Kolonialzeit, die 1948 mit der Unabhängigkeit Burmas, wie die Kolonie damals hieß, endete. Die Briten hatten über Jahrhunderte Landarbeiter aus Bengalen für ihre Plantagen in die burmesische Region Arakan geholt. Diese zählen sich zu den Einheimischen, werden jedoch von der buddhistischen Bevölkerungsmehrheit sowie von der Regierung als immer noch fremde »Bengalis« behandelt. Das mag teils an ihrer Religion, ihrer eigenen Sprache und Kultur liegen.
Das Problem verschärfte sich noch, als Londons Kronkolonie auf dem südasiatischen Subkontinent 1947 in die unabhängigen Staaten Indien und Pakistan geteilt wurde und sich die muslimischen Siedler in Arakan mit dem benachbarten Ostpakistan (heute Bangladesch) vereinigen wollten. Pakistans Staatsgründer Mohammed Ali Jinnah lehnte das aber ab. Jedenfalls lebt seit Generationen im heutigen myanmarischen Bundesstaat Rakhine eine beträchtliche muslimische Bevölkerungsgruppe, die Rohingya genannt wird. Den damals Zugewanderten folgten 1948 und dann noch einmal 1971 mit der Unabhängigkeit Bangladesch bengalische Migranten. 1982 setzte Burmas Herrscher General Ne Win das burmesische Nationalitätengesetz in Kraft. Es stempelte die Rohingya als »staatenlose Bengali Muslime« ab. Bei der Volkszählung im Jahre 2012 wurden sie nicht einmal mehr als Minderheit erfasst.
Im gleichen Jahr gab es schwere Zusammenstöße zwischen Rakhine-Buddhisten und Rohingya-Muslimen. 78 Tote waren zu beklagen. 140 000 Menschen wurden aus ihren Dörfern vertrieben. Etwa 100 000 sollen in Camps eingesperrt sein. Andere flüchteten in Nachbarländer, auch nach Bangladesch, wo sie nicht gerade mit offenen Armen aufgenommen wurden, und weiter bis nach Indien. Etwa 800 000 insgesamt leben mehr schlecht als recht noch im Rakhine-Bundesstaat.
Erst Ende Mai gab es in Yangoon eine von der Polizei geduldete Kundgebung gegen die Rohingya. T-Shirts mit der Aufschrift »Boat People sind keine Myanmari« waren zu sehen. In den Schubladen der Regierung liegen Gesetze bereit, die einen Boykott muslimischer Geschäfte, Restriktionen für religiöse Mischehen sowie für Glaubenswechsel vorsehen und die Monogamie als soziales Erfordernis befürworten. Die Stoßrichtung ist eindeutig antimuslimisch.
Vor diesem Hintergrund nahm in den letzten Wochen der Flüchtlingsstrom dramatische Ausmaße an. Das UNO-Flüchtlingskommissariat sprach von 25 000 Menschen, die seit dem Frühjahr von Schlepperbanden an fremde Gestade verfrachtet wurden. Die Zahl der Toten kann nicht einmal geschätzt werden. Indonesien, Malaysia und Thailand nahmen 3500 Flüchtlinge zeitweilig auf. Myanmars Regierung argumentiert ähnlich wie EU-Hardliner, man müsse energisch gegen die Boot-Mafia und jene vorgehen, die die Menschen mit haltlosen Versprechen ins Ausland locken. Für eine Kurskorrektur, die der muslimischen Minderheit eine gleichberechtigte, menschenwürdige Existenz ermöglicht, gibt es keine Anzeichen.
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