Schlepperbanden
Sabine Schiffer darüber, wie die Medien einseitig bösen Schleppern die Schuld für den Tod Tausender im Mittelmeer zuweisen, um über die eigentlichen Hintergründe gar nicht erst reden zu müssen
Frau Schiffer, endlich ist es heraus: Kriminelle Schlepperbanden sind an den Tausenden von Toten im Mittelmeer schuld...
Wieder einmal scheint es gelungen, komplexe Probleme auf einen einzigen Grund zu reduzieren. Nun sind die bösen Schlepper schuld, die man darum zusätzlich mit dem Wortteil »Banden« markiert – das klingt noch krimineller. Es ist ja nicht so, dass es keine kriminellen Schlepper gäbe, aber das Phänomen an sich hat tiefere Ursachen, die nicht in einem persönlichen Charakterzug von Menschen liegen, die sich einem Business hingeben, das sich ihnen anbietet.
Die Schlepper sind also nicht das wirkliche Problem?
Richtig. Vielmehr ist es die komplizierte Weltwirtschaftsstruktur mit ihren prekären Auswüchsen und Kriegen, die für die Flüchtlinge verantwortlich ist. Statt darüber zu sprechen, greift man lieber Extrembeispiele heraus und leugnet so die ökonomische Situation von Fischern an von Trawlern leergefischten Meeren.
Und gleichzeitig blendet man die Zusammenhänge um die Verelendung in der sogenannten Dritten Welt aus, nämlich Einfuhrbeschränkungen auf der einen und Lebensmittelimporte auf der anderen Seite, die lokale Märkte zerstören, sowie die Kontrolle von Wasser und von genetisch verändertem Saatgut, das sich nicht wieder aussähen lässt. Natürlich spielt auch das Kreditsystem von IWF und Weltbank eine Rolle. Und die geostrategischen Interessen von Großmächten bzw. Großkonzernen – um nur einige relevante Aspekte zu nennen.
Dr. phil. Sabine Schiffer hat zur Islamdarstellung in den Medien promoviert. 2005 gründete sie das Institut für Medienverantwortung, das sie seither leitet. Sie doziert und publiziert zu den Themen: „Vierte contra Fünfte Gewalt“, Kriegsmarketing, Stereotype im Mediendiskurs sowie Medienbildung.
Und diese »Diskurseinengung« ist sozusagen gewollt und also »gemacht«? Das klingt ja ein wenig nach Verschwörungstheorie.
Puh, jede journalistische Recherche wird heute durch das Label »Verschwörungstheorie« erschwert. Ob es nur eine Theorie ist, weiß man ja erst nach der Recherche. Und Recherche ergibt hier eben, dass die verlautbarten Presseerklärungen von politischer Seite viel zu kurz greifen.
Natürlich ist es nicht im Interesse der Verantwortlichen, die von solchen Strukturen – kurzzeitig – profitieren, uns über die Zusammenhänge aufzuklären. Aber einem Journalismus, der sich als vierte Gewalt sieht, stünde es gut zu Gesicht, Machtstrukturen und Interessen zu klären, die hinter der Verarmung bestimmter Menschengruppen - oft übrigens in sehr rohstoffreichen Weltgegenden - und den eskalierenden Konflikten dort. Dies würde sich vom Verlautbarungsjournalismus abheben, den wir momentan beobachten können und der das bestehende System stützt, ja Teil desselben ist.
Rasche Urteile sind eben immer am schnellsten zu haben…
Ja, aber es ist eine Frage des Menschenbildes, ob ich glaube, dass Menschen aus Profitgier ihre Heimat verlassen oder dies nur tun, wenn sie bestimmte gewichtige Gründe dafür haben. Diese können zwischen einem Bildungsinteresse - oft mit Rückkehrwunsch - oder dem Druck liegen, dass man keine andere Möglichkeit zum Überleben mehr sieht. Letzteres macht auch das Risiko plausibel, das viele bei der Flucht in Kauf nehmen: Der Tod durch Ertrinken erscheint angesichts eines schleichenden Todes in einer vollkommen verarmten und ausweglosen Situation weniger erschreckend als aus einer Wohlstandssituation heraus. Das Menschenbild entlarvt sich auch an der Stelle, wo es bei der Debatte um die ökonomisch »nützlichen« Menschen geht, die man bevorzugt einlassen will.
Wenn aber die Operation »Schiffe versenken« den Flüchtlingen keine Hilfe sein wird – was täte dann wirklich not?
Meine Güte, wie kann man ernsthaft eine solche Option erwägen? Wie unmenschlich sich unsere »Demokratien« hier verhalten, wird ja wohl deutlich, ohne dass ich das weiter kommentieren muss.
Was aber täte wirklich not? Auch das ist komplex. Kurzfristig gebietet es unser Wertekodex, Menschenleben zu retten – dazu könnte man zum Beispiel die Verminung der griechisch-türkischen Grenze beseitigen, um die Menschen nicht auf den gefährlichen Seeweg zu zwingen.
Langfristig sind aber andere Wirtschaftskonzepte erforderlich: Faire Bezahlung für Rohstoffe, Abschaffen der Verträge, die etwa afrikanischen Ländern verbieten, ihre Kaffeebohnen selbst zu rösten und zu einem angemessenen Preis zu verkaufen. Ja, man müsste einmal durchrechnen, ob es volks-, sprich weltwirtschaftlich nicht ökonomischer ist, gehobene Preise für Material und Dienstleistungen – Stichwort: Textilindustrie – zu bezahlen und dafür die Abwehrmaßnahmen gegen die Migration in Folge der Ausbeutung einstellen zu können. Mal abgesehen von Militär und Waffen, die wir in dem Maße dann nicht mehr bräuchten.
Klar, das würde bedeuten, dass wir wirtschaftlich umdenken und auf andere Pfade als die alten, etablierten setzen. Und das dürfte den jetzigen Profiteuren nicht gefallen, die sich von ihren Gewinnen die entsprechende PR leisten können, um die öffentlichen Debatten zu beeinflussen. An dieser Stelle wird sich aber wohl entscheiden, ob die Politik noch im Sinne der Mehrheitsmeinung ihrer Bevölkerungen handeln kann oder ob sie zum Vehikel der Großkonzerne und Banken degradiert ist.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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