Unverkennbar

Die Linkspartei wartet auf eine Rede. Doch alle Fragen kann auch ein Gregor Gysi nicht beantworten. Die Selbstermächtigung der Vielen ist keine Sache der Prominentenlogik

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 4 Min.

Es ist einer dieser unverkennbaren Sätze von Gregor Gysi. Er wisse »gar nicht, wie dieser Erwartungsdruck entstehen konnte«, hat der Linksfraktionschef jetzt der »Leipziger Volkszeitung« gesagt - nachdem er über Wochen wieder und wieder jede Frage nach seiner politischen Zukunft auf den Bielefelder Parteitag vertröstet hatte.

Das ist im Sinne einer Haltung, die dem Souverän »Partei« das Prä gegenüber der Schlagzeilenmaschine »Medien« gibt, nachvollziehbar. Es verweist zugleich auf ein Dilemma der Linkspartei: einerseits mit dem Selbstanspruch ausgestattet zu sein, die Selbstermächtigung der Vielen zu ermöglichen, und andererseits doch eingesperrt zu bleiben in eine Realität aus Dreißig-Sekunden-TV-Statements und Prominentenlogik.

An den Beginn ihres Erfurter Programms hat die Linkspartei Brechts »Fragen eines lesenden Arbeiters« gesetzt, in dem zur Rolle der großen Männer in der Geschichte die Zeile auftaucht: »Er allein?« Die große Gysi-Frage lässt sich kaum besser formulieren. Aus zwei Gründen:

In der Linkspartei wird auf die anstehenden Wahlkämpfe, vor allem auf das Jahr 2017, geblickt. Wer soll in medial bestimmte Schlachten ziehen, wenn nicht der beste Redner der Partei? Und: Die künftige Besetzung der Fraktionsspitze ist schon länger eine offene Wunde: Schon länger wird auf eine quotierte Doppelspitze gepocht, auch die gehört zum Selbstanspruch der LINKEN.

Dass es eine Entscheidung der Fraktion ist, von wem sie sich führen lässt, ist so richtig, wie es die komplexe Verteilung von Ansprüchen und Interessen in der Partei außer Acht lässt. Die beiden Vorsitzenden haben ein Vorschlagsrecht; die Strömungen wollen sich ebenso vertreten sehen wie Ost und West, wie die Herkunftsorganisationen der fusionierten LINKEN.

Und, was die Sache nicht einfacher macht: Es gab bereits eine Nachfolgeoption, sie zerstob mit dem Verzicht von Fraktionsvize Sahra Wagenknecht auf eine mögliche Kandidatur für den Fraktionsvorsitz. Dass Wagenknecht ebenso wie Dietmar Bartsch zu den »natürlichen« Kandidaten auf Gysis Nachfolge gehören, bezweifelt praktisch niemand. In den vergangenen Wochen sind aber noch andere Namen gefallen: die Innenpolitikerin Martina Renner und der Außenpolitiker Jan van Aken etwa. Aufmerksam wurde registriert, dass Parteichefin Katja Kipping erklärt hat, sie stehe für den Posten nicht zur Verfügung. Und in den Zeitungen ist zu lesen, dass Wagenknecht nun viel gebeten wird, ihren Rückzieher zurückzuziehen.

»Er allein?« Als Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn vor einigen Tagen mit Medienvertretern auf Bielefeld vorausblickte, fiel die Bilanz ziemlich klar aus: Auf journalistisches Interesse stieß die Gysi-Zukunft - nicht die Frage, wie die Linkspartei ihre politischen Herausforderungen meistern will. Es stehen wegentscheidende Wahlen in Ländern an, es geht um die Möglichkeiten (aber auch Grenzen) einer Mehrheitsoption links von Angela Merkel, es geht um die Weiterentwicklung einer Partei in Zeiten, in denen es anderswo eher linke Bündnisse a la Podemos sind, die Zuwachs erhalten.

Das weiß auch Gysi. In einem wahren Interview-Marathon hat er einige Punkte skizziert, die seiner Meinung nach entscheidend sind: mehr selbstbewusster Wille zur Gestaltung, mehr glaubwürdige Angebote an jene, die derzeit keine Hoffnung mehr in Veränderung durch Politik haben. Und der Linksfraktionschef sagt: »Wenn man inhaltlich gebraucht wird, dann geht es auch mit anderen Personen.«

Auch das ist so ein unverkennbarer Gysi-Satz. Immer zu Deutungen einladend. Was wird der kleine große Mann der LINKEN in Bielefeld sagen? Vielleicht, auch das hat man von ihm gehört, werde er »einen Satz dazu sagen, dass die Überlegungen um meinen Rückzug unbegründet waren«. Sonntag in Bielefeld. Um 13 Uhr. Er allein.

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