»Die Frustration ist sehr hoch«
Verband fordert mehr Geld und Personal für den Radverkehr in Berlin
Als »Fahrradstadt« inszeniert sich Berlin bei Touristen und Bewohnern. Wer von diesem Ziel wenig mitbekommt, sind die Radfahrer. Sie leben in der Hauptstadt gefährlich. An Kreuzungen sind sie für abbiegende Autos unsichtbar, auf mehrspurigen Straßen fehlen Radwege. Wo es solche gibt, werden sie von parkenden Autos blockiert. Und soll das Rad abgestellt werden, beginnt die Suche nach einer geeigneten Laterne, an der noch nicht drei andere Fahrräder hängen.
Dabei hat der Senat schon vor zwei Jahren die Radverkehrsstrategie beschlossen. Mehr Geld, mehr Personal und bessere Infrastruktur versprach die Politik den Zweiradfahrern. Denn die sind zahlenmäßig auf dem Vormarsch. 15 Prozent der Wege werden in Berlin mit den Rad zurückgelegt - Tendenz steigend.
Große Worte, nichts dahinter, beklagt nun der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) und fordert: »Handeln statt Schönreden«. Eva-Maria Scheel, Landesvorsitzende des ADFC sagt: »Die Frustration bei den Radfahrern ist sehr hoch. Denn bei der Umsetzung der Strategie hapert es gewaltig«. Dass auf den Straßen in Sachen Fahrradfreundlichkeit Stillstand herrscht, hat einen einfachen Grund: Es fehlt das Geld. Fünf Euro pro Einwohner im Jahr sollten laut Radverkehrsstrategie investiert werden. Der ADFC will noch mehr. »Radverkehr ist günstig, aber kostenlos nicht zu haben«, meint Vorstandsmitglied Bernd Zanke. »Über 300 Millionen Euro werden jährlich für den Bau und Erhalt von Straßen ausgegeben. Eigentlich müsste die finanzielle Aufwendung für den Radverkehr proportional zu dessen Anteil an der gesamten Mobilität sein.«
Von solchen Summen ist die Hauptstadt weit entfernt. Sechs Millionen Euro hat der Senat im vergangenen Jahr für den Radverkehr bereitgestellt. Genutzt wurde davon laut ADFC nur knapp die Hälfte. Denn die Bezirke rufen das Geld nicht ab. Der Grund: Personalmangel.
Das Versagen bei der Umsetzung der Radverkehrsstrategie kam Ende Mai auch im Abgeordnetenhaus auf den Tisch. »Fahrradverkehr in Berlin - null Punkte für den Senat«, hieß das Thema, das auf Antrag der Piratenfraktion debattiert wurde. Deren verkehrspolitischer Sprecher Andreas Baum beschreibt die Situation als desaströs. »Vor zwei Jahren hat der Senat seine ehrgeizige Radverkehrsstrategie beschlossen. Doch schon beim wichtigsten Punkt ist nichts passiert: Elf von zwölf Bezirken verfügen über kein für die Radverkehrsplanung qualifiziertes Personal«. Und Harald Wolf (LINKE) findet: »Wir haben kein Erkenntnisdefizit, sondern ein Finanzierungs-, Umsetzungs- und Kontrolldefizit.«
In Punkto Personalmangel sind sich Opposition und ADFC einig. Der Fahrradclub fordert zehn zusätzliche Stellen in der Senatsverwaltung. Zudem ist in den Bezirken je eine Ingenieurstelle einzurichten, mindestens zehn Ordnungskräfte sollten den Radverkehr überwachen. Insgesamt wären das 132 Stellen in den Bezirken. »Das hört sich erstmal verrückt an«, sagt Zanke. Diesen Zahlen seien aber keine Neuerfindung vom Fahrradclub, sondern würden in der Radverkehrsstrategie bereits drinstehen. Geld ist allerdings nicht das einzige Problem. »Die Behörden sind zu vielfältig. Jeder muss immer jeden fragen und am Ende ist niemand zuständig«, meint Zanke. Und auch Scheel fordert: »Radverkehr muss Chefsache werden«. Es gehe um die grundsätzliche Frage, wie man sich das Leben und die Mobilität in einer Großstadt vorstelle. Das Fahrrad sei der Schlüssel zu einer lebenswerteren und gesünderen Stadt.
In den letzten zwei Jahren hat die Politik viel geredet und wenig gemacht. Aber der ADFC hat Hoffnung. »Wir wissen ja, dass im nächsten Jahr Wahlen sind«, so Zanke.
Die Stadtentwicklungsverwaltung wies die Vorwürfe zurück. Viele der ADFC-Forderungen seien längst Teil der alltäglichen Arbeit, um die Radverkehrsstrategie umzusetzen.
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