Geld als Lockmittel für den Landarzt
Sozialverbände kritisieren die Regierungsmethoden zur Behebung von Versorgungsproblemen. Das Gesetz wurde trotzdem beschlossen
Immer öfter warten Patienten wochen- oder gar monatelang auf einen Facharzttermin und die Zahl der Praxen auf dem Land wird weniger. Organisieren müsste die Sicherstellung der medizinischen Versorgung die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) - Interessenvertreterin von 165 000 Ärzten und Psychotherapeuten in 17 regionalen Kassenärztlichen Vereinigungen. Doch der KBV- Vorstandsvorsitzende wiegelt ab. Deutschland sei im internationalen Vergleich bei kurzen Wartezeiten führend, sagt Dr. Andreas Gassen. Das werde von der Politik offenbar nicht anerkannt.
Die Politik, also der Bundestag, hat gestern beschlossen, was die Regierung vorgeschlagen hat: Die Kassenärztlichen Vereinigungen werden verpflichtet, Terminservicestellen einzurichten. Sie sollen, wenn nötig, Versicherten mit einer Überweisung innerhalb von vier Wochen einen Termin bei einem Facharzt vermitteln. Sollte das nicht möglich sein, kann der Patient ein Krankenhaus aufsuchen.
Ein ähnliches Modell praktizieren die gesetzlichen Krankenkassen seit langem. Sehr erfolgreich lief es bisher nicht. Terminservicestellen beheben nach Ansicht der Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Ulrike Mascher, die Ursache des Problems nicht: »Solange es für Ärzte lukrativer ist, Privatpatienten zu behandeln, werden gesetzlich Versicherte benachteiligt bleiben. Außerdem werden Psychotherapeuten von dieser Regelung ausgenommen. Hier bestehen aber die größten Versorgungsprobleme.« Das sieht auch der Präsident des Sozialverbandes Deutschland (SoVD), Adolf Bauer, so: »Die Balance in der medizinischen Versorgung ist zunehmend nicht mehr gegeben. Dies führt zu erheblichen Nachteilen für die Patientinnen und Patienten«, warnt er. Es bestehe die Gefahr, dass ein Überangebot bestimmter Fachgebiete eine adäquate Gesamtversorgung gefährde. Finanzielle Attraktivität einzelner Fachrichtungen dürfe nicht die medizinische Versorgung im Allgemeinen deformieren. Dieses Problem müsse die Bundesregierung lösen, sagt Bauer.
Doch die Bundesregierung setzt auf die alten Methoden: Durch stärkere, vor allem finanzielle Anreize sollen Ärzte für eine Niederlassung in unterversorgten, strukturschwachen Gebieten gewonnen werden. An Strategien gegen die Überversorgung - wenn sich etwa in Stadtquartieren mit vielen Gutverdienern immer mehr Hautarztpraxen ansiedeln - wagt sie sich ebenso wenig heran wie an die Beendigung der Privilegien von Privatversicherten. Auf den zaghaften Versuch des Bundesgesundheitsministeriums, die KV zu verpflichten, in sogenannten überversorgten Gebieten frei werdende Praxen aufzukaufen und nicht wieder zu besetzen, reagierten die Kassenärzte heftig, obwohl die Regelungen bereits zahlreiche Ausnahmen enthielten. Sie protestierten solange, bis ein Gebiet einen 140-prozentigen Versorgungsgrad aufweisen musste, ehe es als überversorgt gilt. Und auch das finden sie noch falsch. Allein durch die Tatsache, dass Praxisübernahmen oder Niederlassungen in Bereichen unterbunden würden, die einen hohen Versorgungsgrad hätten, werde die Lage in unterversorgten Regionen nicht besser, meint KBV-Vorstandsvorsitzender Andreas Gassen.
Krankenkassen sollen künftig noch mehr Wettbewerbsrechte bekommen, das gefällt den Sozialverbänden gar nicht. Sie fürchten, dass sich Kassen für Arme und Kassen für besser Situierte herausbilden. Neben den umstrittenen Neuregelungen von Terminvergaben und ärztlicher Überversorgung soll durch das neue Gesetz das Recht der Versicherten auf eine unabhängige ärztliche Zweitmeinung gestärkt werden. So will man unnötige Eingriffe verhindern. Auch bei der Förderung von Innovationen in der Versorgung setzen Politiker auf antriebsstärkende Finanzen. Ein Innovationsfonds von 300 Millionen Euro jährlich wird für die nächsten Jahre eingerichtet. Das Gesetz tritt am 1. August in Kraft. Kommentar Seite 4
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