Nur noch ein grausiges Nachspiel
Die Weichen für Europas Geschichte waren vor Waterloo gestellt
Die Schlacht vor 200 Jahren, deren Heere einerseits Wellington und Blücher, andererseits Napoleon befehligten, ist oft beschrieben worden. Zum Jubiläum sind wieder mehrere neue Bücher erschienen, darunter ein Bändchen von Marian Füssel, Geschichtsprofessor in Göttingen, das es in sich hat.
Geboten werden hier nicht nur minutiöse Schilderungen der Schlacht und der ihr vorausgegangenen Gefechte. Da ist nichts vergessen: die Stärke und Gliederungen der Armeen, ihre Anordnungen und Bewegungen, die Bewaffnung und der sehr unterschiedliche Schulungsgrad der Schlachtteilnehmer, unter denen sich Veteranen vorausgegangener Feldzüge ebenso befanden wie rasch und schlecht ausgebildete Soldaten. Geurteilt wird über die Erfahrungen und Moral und natürlich die Fähigkeiten der so genannten Schlachtenlenker. Dazu gehören die sorgsame Beschreibung des jeweiligen Terrains und der Witterungsbedingungen. Von Stunde zu Stunde lässt sich der Fortgang der Schlacht verfolgen - bis zu Flucht, Zerfall und Rückzug der Franzosen. Bewundernswert, wie eindrücklich Füssel all das auf wenig Raum zusammengedrängt schildert, nicht nur in eigenen Worten, sondern vielfach auch mit Zitaten aus den Erinnerungen Teilnehmender, deren Verfasser zumeist Offiziere waren. Eine gewisse Liebe zum Detail muss der Leser mitbringen, aber er lernt dabei viel. Nicht weniger faktenreich ist Füssels Blick auf das Nachleben der Schlacht. Er erwähnt, beschreibt und wertet die bald darauf erscheinenden Darstellungen, Gedichte, Romane und Dramen, Gemälde und Denkmäler, Diaramen und Panoramen. Er verweist auf die Benennung von Straßen, Brücken und Stationen nach dem Schlachtort oder den Heerführern und lässt den früh einsetzenden Schlachtfeldtourismus nicht aus.
Im Epilog bemerkt Füssel, dass »Waterloo heute vielleicht die berühmteste Schlacht der Weltgeschichte ist«, eine Wiederholung des ersten Satzes des Buches, der die Schlacht »wahrscheinlich die berühmteste der Weltgeschichte« nennt. Darüber lässt sich streiten, denn da wäre auch über Stalingrad zu reden. Die eigentliche Differenz betrifft jedoch den historischen Ort von Waterloo. Napoleons Kaiserreich ist in Borodino und Leipzig 1813 sowie den Schlachten des Frühjahr 1814 auf französischem Boden untergegangen. Des Imperators Rückkehr war nur eine Fußnote. Sie verband sich, ungeachtet seiner vielerorts enthusiastischen Begrüßung, keinen Moment mit der Chance der Errichtung eines zweiten napoleonischen Kaiserreichs. Das ließ die Allianz nicht zu. Die Weichen für Europas Geschichte waren vor Waterloo gestellt worden. Die Schlacht am 18. Juni 1815 war ein grausiges Nachspiel.
Marian Füssel: Waterloo 1815. C. H. Beck, München. 127 S., br., 8,95 €.
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