Das merkwürdige Schattenspiel
Nach dem Züricher Beben hält sich die FIFA bei der Frauen-WM in Kanada merklich zurück
Rowelna Venter und Gina Escobar halten die einen für Schwestern. Andere vermuten hinter ihnen eher Brüder im Geiste. Denn die adretten Frauen tragen denselben dunklen Anzug mit FIFA-Emblem und bewegen sich mit dem gleichen geschäftigen Blick durch das Lansdowne Stadium von Ottawa. Und befleißigen sich eines bizarren Gehabes, das so gar nicht zum familiären Charakter einer Fußball-Weltmeisterschaft der Frauen passen will. Die Südafrikanerin Venter wird schnell grantig, wenn nach dem Ende einer Pressekonferenz mit Silvia Neid die Bundestrainerin hinterher noch einige Aussagen ins ARD-Mikrofon sprechen soll.
Und die Costa-Ricanerin Escobar mutiert fürwahr zur Furie, wenn jemand an die wartende Nationalspielerin Lena Goeßling noch ein persönliches Wort richtet. Wer gar glaubt, er könne mit seinem Handy noch ein Foto machen, der riskiert seine Akkreditierung. »Forbidden!« - Verboten!, lautete der Alarmruf der zwei Wächterinnen. Zumindest im Mikrokosmos des Medienzentrums funktioniert das Diktat des Weltverbandes also noch.
Doch schon an den Einlasskontrollen zum Stadion nimmt sich die FIFA mit ihrem Regulierungswahn zurück: Sie sei von Freundlichkeit und Nachlässigkeit geprägt, berichten die Zuschauer. Was natürlich damit zusammenhängt, dass die Kundschaft im weiblichen Segment für alles steht - aber nicht für Gewaltexzesse. Stattdessen ruft der Stadionsprecher stets ein »handshake for peace« aus. Auf den Tribünen schüttelt trotzdem niemand im FIFA-Auftrag die Hand des Nachbarn - nicht mal für den Frieden. Die Kanadier mögen eine sportliche Rivalität mit den USA pflegen, aber sie heißen dennoch gut, wie das FBI mit der FIFA umspringt. Endlich ist der Stich ins Wespennest gelungen.
Auch wenn die Dachorganisation in den Spielorten die üblichen Abläufe installiert hat: Die siebte Auflage einer Frauen-WM scheint viel weniger in ihrem Klammergriff als das Turnier vor vier Jahren. Waren in Deutschland für 2011 Zufahrtstraßen auffällig beflaggt und Areale zum Public Viewing penibel eingerichtet, damit sich die Sponsoren als FIFA-Zahlmeister ins rechte Bild rücken konnten, so hat sich Kanada 2015 mehr Zurückhaltung auferlegt. In der Hauptstadt Ottawa, wo am 20. und 22. Juni noch zwei Achtelfinals stattfinden werden, ist nicht mal eine Fanzone aufgebaut, obwohl sich der Byward Market mit seinem jungen, sportiven Publikum dafür angeboten hätte. Eine Feierstunde mitten in der größten Identitätskrise des Weltverbands? Reicht doch, dass sich in den vom Stanley-Cup-Finale dominierten Sportsbars herumspricht, dass irgendwo und irgendwann gerade auch der Women’s World Cup läuft.
Alles hatte sich Victor Montagliani, Präsident des kanadischen Fußballverbandes (CSA), fürs Turnier gewünscht, nur nicht Enthüllungen zu diesem Zeitpunkt. Der gewaltige Knall von Zürich hat dem Turnier zwischen Moncton und Vancouver viel von der öffentlichen Aufmerksamkeit gekostet. Der Weltfußball habe seinen moralischen Kompass verloren, lästerte Montagliani vor dem Eröffnungsspiel. Und lobte dafür die 30 Millionen Frauen und Mädchen, die weltweit dem Ball hinterherjagen: »Sie spielen wirklich wegen ihrer Liebe zum Spiel.« Eine schöne Replik auf die unglaubwürdigeren Liebesbekundungen Sepp Blatters, der früher gerne davon schwadronierte, dass die Zukunft des Fußballs weiblich sei. Der pure Populismus.
Konsequenterweise knickt der Blatter-kritische kanadische Verband jetzt nicht ein, wenn es um die Bewerbung der WM 2026 geht. »Wir haben zwar unser Interesse an einer Ausrichtung bekundet, aber auch immer gesagt, dass wir erst sehen wollen, was sich innerhalb der FIFA verändert, bevor wir eine Entscheidung treffen«, heißt es von einem CSA-Sprecher. Die öffentlich erhobene Forderung: Die FIFA solle neben dem Nein zum Rassismus auch ein Nein zur Korruption verlauten lassen. Die Skandalvereinigung vermittelt dem Stadion- und Fernsehpublikum indes nur die altbekannten Botschaften. Das beim Einlaufen der Mannschaften hereingetragene Banner zeigt die Aufschrift: »FIFA. My game is Fair Play.«
Bislang sind nur vier FIFA-Führungsmitglieder überhaupt in Kanada aufgeschlagen, drei davon sind Frauen: Lydia Nsekera aus Burundi, die erste Frau als Vollmitglied des FIFA-Exekutivkomitees, Moya Dodd aus Australien und Sonia Bien Aime von den Turks- und Caicos-Inseln aus dem Komitee Frauenfußball. Einziger männlicher Repräsentant ist FIFA-Vizepräsident David Chung aus Papua-Neuguinea. Wofür er in dieser Causa steht, ist im Detail nicht zu erfahren. Aber ihn hat das FBI wohl nicht auf der Liste, denn bislang bewegt er sich unbehelligt hin und her. Jedoch auch unbemerkt.
Brauchbare Wortmeldungen steuert sowieso nur Tatjana Haenni bei, die seit 2008 für alle Frauenwettbewerbe unter FIFA-Hoheit verantwortlich ist. Auf die Frage, ob die Turbulenzen die WM stören würden, sagte die Schweizerin der »Basler Zeitung«: »Überhaupt nicht. Wir haben vier Jahre lang auf dieses Turnier hingearbeitet und sind überzeugt, dass es eine gute Sache geben wird.« Immerhin traut sie sich, ungeschminkt das Machogehabe vieler Konföderationen und Verbände anzuprangern und befürwortet längst eine Frauenquote in den Gremien ihres Arbeitgebers. Die 49-Jährige verriet, dass sie es gar nicht mehr für ausgeschlossen halte, dass mal eine Frau der FIFA vorstehen werde. Das fände auch die Bundestrainerin interessant: »Eine Frauenhand täte der FIFA gut.« Nach dieser Frage wurde die Pressekonferenz in Ottawa übrigens sofort abgebrochen.
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