Bis die Welt am Boden liegt
Bert Brechts »Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui« am Deutschen Nationaltheater Weimar
Dass Brechts »Ui« gespielt wird, welch ein Glück. Hitler ist tot, die Banditen um ihn herum sind tot, das Problem ist tot (scheintot), das Stück ist tot. Und die Augen deutscher Bühnen sind so tot, dass sie ihre Säumnisse nicht merken und darum auch nicht selbstkritisch spiegeln können.
Denn brandaktuell ist dieser Brecht. Der Dichter wusste lange vor Max Horkheimer, dass, wer über den Faschismus reden will, über den Kapitalismus nicht schweigen darf. Und dass es im Falle der Hitler und Konsorten nicht allein um den »Nationalsozialismus« geht, sondern um viel umfassendere Problemstellungen. Die von Hindenburgs, von Schleichers, von Schuschniggs, von Papens, die Goebbels, Görings, Röhms, all jene Gewächse des Kapitalismus mit Hitler inmitten führt »Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui« modellhaft vor und parodiert sie vernichtend.
Nur die Örtlichkeiten und die Kleider haben gewechselt. Chicago ist der Tatort, letztlich eine jede kapitalistische Großstadt. Das Handeln der genannten Typen ragt in die Jetztwelt hinein, ja es wuchert nur unwesentlich verändert darin. Ui ist Hitler und zugleich Abglanz des Al Capone, des obersten Schutzgelderpressers von Chicago. Der hat sich den Stadtteil Cicero okkupiert, macht ihn zur Herrlichkeit auf Erden, zum Ort des Amüsements mit zweifelhaften Damen wie der Auspressung seiner Bewohner, was im Stück den Anschluss Österreichs und das Gehabe Mussolinis (Ernesto Roma) umfasst.
Bei Brecht gibt es selbstredend einen Karfioltrust, wörtlich Blumenkohl-Trust, ein Analogon zum Verband der Junker und Industriellen in Deutschland. Dessen Prototypen ziehen die Fäden, sie treiben Ui auf die Höhe politischer Macht. Und die erreicht der »Anstreicher« nicht, bevor er seine komischste wie dreckigste Erscheinungsform angenommen hat. Die Farce kann beginnen.
Nun wirft sich eine junge Truppe für das Stück ins Zeug, kraftvoll, wort- und aktionsbesessen, dazu bereit, die gestrigen Schandtaten als die Schandtaten von heute zu zeigen. Das gelingt und gelingt bisweilen nicht.
Die 17 Szenen des Parabelstückes lässt Regisseur Christoph Mehler in teils höllischem Tempo abspulen. Wild und gestenreich artikulierende Sprechchöre des Ensembles markieren den Beginn (Choreinstudierung Marcus Crome). Auf Plakate und andere Mittel des epischen Theaters verzichtet Mehler. Die Szenenüberschriften schreit der Ui-Darsteller Ingolf Müller-Beck durchs Mikro, begleitet vom Donner perkussiver rockiger Klänge über Lautsprecher. Gleißendes Licht aus Scheinwerfersystemen fällt gegen die Zuschauer, als würde sie Sperrfeuer aus Stalinorgeln getroffen treffen (Bühne Jochen Schmitt).
Ui schraubt sich nicht selber hoch zur Macht, das tun andere Herrschaften, Dogsborough (Hindenburg), Sheet und Clark (Schleicher, Papen) etwa, oder Damenbegleitwerk wie die Schauspielerin und Dockdaisy. Ins Blickfeld geraten die konkurrierenden Energien ebenso wie die kalten Entschlüsse, jeglicher Abweichung an den Hals zu gehen (Röhm-Putsch). Ui indes hat mit den Problemen seiner selbst zu tun.
Zentraler Punkt der Inszenierung ist, dass er derer nicht Herr wird. Müller-Beck spielt das glänzend. Einen Großteil seiner Arbeit macht aus, klarzulegen, dass jene Rollen, die Arturo Ui auf dem Kampfplatz einnehmen soll, der Schulung bedürfen: sein Geifern, die Schaumigkeit, der Schwall seiner Reden, die ungeahnte Fähigkeit, das hohe Packzeug wie den Pöbel in Rührung zu versetzen.
Bisweilen kippt Sentimentales rasch in aggressiven Irrwitz um und umgekehrt. Eine Kunst wahrlich, dies zu spielen. Das Stück hindurch lässt Müller-Beck kaum eine Verrenkung aus. Diabolisches Gehabe geht einher mit überkreatürlicher Mimik und Gestik. Ein lebendiger Hund rennt gelegentlich über die grauen Bretter. Um die Beine von Akteuren herum einem Ball hinterher, ein Stück Fleisch, glücklich aufgehoben im Chaos des Gefeilsches um den Gemüsetrust herum.
Der absonderlichen Eigenheiten geht es darstellerisch rauf und runter: Ui weint nicht, er heult. Er liebt jene ihn optimierende Dame nicht, er überfällt sie überschwänglich. Will er elegant sein, wirkt er ganz unelegant. Feig ist der Mann vor seinen Gönnern und obenauf schwirrt seine Kameraderie um ihn herum: Ernesto Roma (Röhm), Giri (Göring), Gívola (Goebbels). Anders ist der Ui nicht zu machen. Da muss Drastik sein, Irrwitz, Deibelhaftes, Groteskes, haarsträubend Clowneskes. Auch Uis Umfeld markiert teils solche Charakteristik. Dogsborough (Jan Viethen), jung, drahtig, bärtig, seine aus heldisch verlorenen Schlachten gewonnene Aura steht im Verfall, fällt hier besonders Auge. Mann im Rollstuhl, Strippenzieher, so hellwach wie schläfrig. Vor Aug und Ohr dieses Reichs-Auguren formieren sich die Ungeheuer.
Solche Brecht-Sachen müssten eigentlich im Kommen sein. Sind es leider nicht. Zumal so grandiosen wie unübertrefflichen Aufführungen des »Ui« mit Eckehard Schall und Martin Wuttke im BE nicht vergessen sind.
Die Aufführung am DNT dauert zwei Stunden, das Brechtsche Original geht länger. Jedoch keine Strichfassung wurde adressiert, eher eine freie, vielfach improvisatorische Version. Die ihrerseits spart nicht mit Anspielungen auf den Jetztzustand. Leider plätschern solche mit Bezügen auf NSA und obligate Transaktionsspiele heute an der Oberfläche. Die Substanz der Verhältnisse, die »Basis«, wie Brecht sagt, berühren sie nicht.
Schlagend allerdings, kapitaler Einfall, gelang die Szene mit dem Kohlkopf als Weltkugel. Ui-Darsteller Ingolf Müller-Beck, bestens präpariert, steckt hier vollständig in der Rolle und tritt aus ihr gleichzeitig heraus. So ein pfündiges Ding kann er nicht, wie Chaplin es im »Großen Diktator« mit dem Luftballon gemacht hat, schweben lassen, lieben und beküssen, bevor es in Fetzen fliegt. Den Kohlkopp schwingt er stattdessen einige Male wie der Kugelstoßer die Kugel, bevor er den Ring betritt, solange, bis er die Frucht auf den Boden katscht und auf ihr herumtritt wie der Stiefel auf die am Boden liegende Hilflosigkeit. Grandiose Szene, keinesfalls plumpe Nachahmung.
Mit Leichen zu hantieren, scheint theatralischen Youngstern Spaß zu machen. Das geschieht am Schluss. Die ganze Crew liegt erschlagen da, inklusive die Weiber. Ui lebt noch und sammelt die Leichen zusammen. Eins der toten Weiber besteigt er und quält sich fickend den Satz heraus: »Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.« Das passt nun gar nicht, der Reflex ist dumm und peinlich. Da hätte die Regie die gezeigte Drecksbande eher noch einmal auferstehen lassen sollen. Denn die ist nicht gestorben, die lebt heute noch.
Nächste Vorstellung am 18. Juni
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