Website-Betreiber haften, WLAN-Anbieter auch
Bundesregierung und EuGH befassen sich mit rechtlicher Verantwortung im Netz
Dürfen estnische Fähren vor der Küste das Landes das Eis zerbrechen und so die Überfahrt für Autofahrer unmöglich machen? Mit dieser Frage hat sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte am Dienstag nicht befasst. Stattdessen aber mit der Debatte, die diese Frage auf einer estnischen Nachrichtenwebsite auslöste.
Dort hatten wütende wie anonyme Kommentatoren einen Fährschiffer beleidigt. Ein Gericht des Landes verurteilte daraufhin den Betreiber der Seite, Delfi AS, zu einer Geldstrafe von 320 Euro. Der Europäische Gerichtshof bestätigte nun das Urteil. Warum das auch Menschen außerhalb des estnischen Fährschifffahrtsgeschäfts interessieren sollte? Der EuGH urteilte damit, dass der Seitenbetreiber für anonyme Beleidigungen verantwortlich ist und diese löschen muss. Und dies nicht erst, wenn der Geschädigte sich beim Seitenbetreiber meldet.
Wie auch in Deutschland üblich hatte Delfi AS die Kommentare erst entfernt, nachdem der Anwalt des Schiffers dies gefordert hatten. Dies sei zwar üblich, so die Straßburger Richter. Doch habe es sich in diesem Fall um »Hetze und direkte Drohungen gegen die körperliche Unversehrtheit von Personen« gehandelt. Die Löschung hätte deshalb schon vor dem anwaltlichen Hinweis stattfinden müssen.
Delfi AS hatte in dem Urteil des estnischen Gerichts eine Verletzung des Rechts auf Meinungsfreiheit gesehen und war deshalb nach Straßburg gezogen. Die Richter hingegen gaben den estnischen Kollegen recht. Deren Urteil sei »eine berechtigte und angemessene Beschränkung der Meinungsfreiheit« gewesen. In ihrer Urteilsbegründung schrieben die Richter, dass es nicht gegen die Meinungsfreiheit verstoße, wenn Staaten Websitenbetreiber von Löschen von rechtswidrigen Kommentaren verpflichten. Die Auswirkungen dieses Urteils dürften dennoch begrenzt sein. Die Richter stellten explizit fest, dass das Urteil nur für den konkreten Falle gelte, der Fall unter den rechtlichen Bedingungen anderer Staaten anders gehandhabt werden könnte.
Neuer Gesetzesentwurf zur Störerhaftung
Größere Auswirkungen auf deutsche Internetuser könnte hingegen ein neuer Gesetzesentwurf zur Störerhaftung haben, den das Bundeswirtschaftsministeriums am Montag vorlegte. Auch hier geht es um die Frage, wer für Rechtsverletzungen im Netz haftet. Bisher ist das in Deutschland der Anbieter eines WLAN-Hotspots, also zum Beispiel ein Café-Betreiber. Lädt ein User über seine Verbindung illegale Inhalte herunter, kann er dafür haftbar gemacht werden. Dies ist auch der Grund dafür, dass es in Deutschland vergleichsweise schwer ist, in Einkaufszentren oder auf Flughäfen online zu gehen.
Nachdem ein erster Gesetzesentwurf im März weiterhin die Haftung privater WLAN-Anbieter vorsah und bei Opposition und Netz-Aktivisten auf breite Kritik gestoßen war, hat das Bundeswirtschaftsministerium nun nachgebessert. Im der Neufassung des Telemediengesetzes fehlt die Vorgabe, dass Betreiber von private Hotspot-Betreiber die Namen ihrer Nutzer kennen müssen: »Private WLAN-Anbieter müssen ihre Nutzer zusätzlich namentlich kennen - das gilt beispielsweise für Familienmitglieder oder Mitbewohner in einer Wohngemeinschaft«, hieß es noch im ersten Entwurf. Davon betroffen wären auch Initiativen, die Internetzugänge ehrenamtlich zur Verfügung stellen, wie die »Freifunker«, die in Berlin mehrere hundert kostenfrei Hotspots betreiben. Im neuen Entwurf fehlt diese Passage. Damit reagiert die Bundesregierung auf die Kritik, die ihr letzter Entwurf hervorgerufen hatte. Der Verein »Digitale Gesellschaft« warnte damals vor den Folgen für »Online-Wirtschaft, Tourismus und Zivilgesellschaft«. Deutschland verharre damit »in der digitalen Steinzeit«. Noch deutlicher wurde die netzpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Halina Wawzyniak. Für sie war der Entwurf »Stümperei«, »innovationsfeindlich« und »sozial ausgrenzend«.
Wird nun also alles gut? Nicht ganz. Denn auch der neue Gesetzesentwurf sieht Einschränkungen für Hotspot-Betreiber vor. So sind diese unter anderem dazu verpflichtet, die Kommunikation zu verschlüsseln. Nutzer müssen außerdem erklären, »im Rahmen der Nutzung keine Rechtsverletzungen zu begehen«», so der Entwurfstext. Vage erwähnt der Text außerdem «zumutbare Maßnahmen» , die Betreiber ergreifen sollen, um Rechtsverletzungen durch Dritte zu verhindern.
«Keinen wirklichen Fortschritt» nennen deshalb die Freifunker den Entwurf und kritisieren, dass die «rechtlich unklare Situation» für Hotspot-Betreiber bestehen bleibe. Bis das Gesetz tatsächlich in Kraft tritt, kann es außerdem noch Monate dauern. Zunächst wird sich die EU-Kommission mit dem Entwurf beschäftigen, erst dann berät das Bundeskabinett und anschließend der Bundestag über den das Gesetz.
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