Freital: Flaschenwürfe auf Flüchtlingsunterstützer
Dritter Aufmarsch gegen Asylunterkunft in Folge / Opferberatung: Klar rassistisch motiviert / Rund 80 Menschen demonstrieren Solidarität mit Geflüchteten / Migrations-Beauftragte alarmiert / Politiker und Kirchenvertreter besorgt
Update 16.30 Uhr: Nach Bundesjustizminister Heiko Maas hat auch Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig die Demonstrationen (beide SPD) vor einem Asylbewerberheim im sächsischen Freital bei Dresden verurteilt. Die SPD-Politikerin sagte am Donnerstag in Berlin, »die feindseligen Aufrufe gegen Flüchtlinge entsetzen mich. Wer mit Böllern, Steinen und Eiern auf Asylunterkünfte zielt, bewegt sich außerhalb unseres demokratischen Wertesystems.«
Schwesig sagte weiter, in Freital wie auch an anderen Orten in Deutschland suchten Flüchtlinge Schutz vor Verfolgung und Vertreibung. »Wir brauchen eine Kultur des Willkommens, die von vielen unterstützt und langfristig getragen wird«, erklärte die Ministerin. Es komme darauf an, in jeder Situation im Gespräch zu bleiben. Nur dann könne die Begegnung mit Flüchtlingen zu mehr Solidarität führen.
Update 15.20 Uhr: Der Bischof vom Bistum Dresden-Meißen, der künftige Berliner Erzbischof Heiner Koch, rügte die ausländerfeindlichen Proteste. Er rief die Flüchtlingsfeinde auf, mit ihren Bedenken zu den Politikern zu gehen, aber nicht vor ein Flüchtlingsheim. »Ich habe keinerlei Verständnis dafür, wenn in unserem Land verängstigten Flüchtlingen, die hier Zuflucht suchen, aggressives Verhalten entgegenschlägt«, sagte Koch auf gegenüber dem evangelischen Pressedienst (epd).
Sachsens evangelischer Landesbischof Jochen Bohl relativierte die rechte Gewalt gegen Flüchtlinge im Freital, indem er sie mit linksautonomen Steinewürfen gegen Fensterscheiben verglich. »Gewalt und auch schon die Anstiftung dazu muss aus christlicher Sicht abgelehnt werden, von wem auch immer sie ausgeht«, sagte er der epd. Da könne es auch »keinen Unterschied geben zwischen der von links wie kürzlich in Leipzig oder der von rechts wie jetzt in Freital«, sagte der Bischof.
Update 13.56 Uhr: Nach tagelangen rassistischen Aufmärschen und teils gewaltsamen Auseinandersetzungen um eine Asylbewerberunterkunft in Freital bei Dresden schaltet sich Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) ein. Er werde sich am Donnerstagnachmittag ein Bild von der Situation in dem ehemaligen Hotel machen und von den zuständigen Stellen informieren lassen, teilte die Staatskanzlei in Dresden mit.
Update 10.50 Uhr: Maas warnt vor weiteren Ausschreitungen
Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hat vor weiteren Ausschreitungen gegen Asylbewerber im sächsischen Freital gewarnt. »Gewaltaufrufe gegen Flüchtlinge sind völlig inakzeptabel«, erklärte Maas am Donnerstag in Berlin. »Die Flüchtlinge, die zu uns kommen, haben in ihrer Heimat alles verloren.« Sie suchten Hilfe und Zuflucht. Zwar müssten Sorgen und unbegründete Vorbehalte im Dialog besprochen werden, fügte der Justizminister hinzu. »Wer bei uns aber Stimmung gegen Ausländer macht und Fremdenhass schürt, dem müssen wir entschlossen entgegentreten.« In Deutschland dürfe kein Platz für Fremdenfeindlichkeit sein.
Update 7.45 Uhr: Immer mehr Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte
Die Angriffe auf Unterkünfte von Asylbewerbern in Sachsen nehmen immer mehr zu. Dies geht laut einem Bericht der »Sächsischen Zeitung« aus Antworten von Innenminister Markus Ulbig (CDU) auf Anfragen der Landtagsabgeordneten Kerstin Köditz (Linke) hervor. Danach hat es in Sachsen in den ersten fünf Monaten dieses Jahres allein bis Mai 31 rechtsmotivierte Straftaten an oder in Flüchtlingsunterkünften gegeben – darunter Brand- und Sprengstoffanschläge, Körperverletzung und Volksverhetzung. »Dazu kommen weitere aktuelle Übergriffe im Monat Juni«, schreibt die Zeitung. »Die Zahl dieser Straftaten nimmt bereits seit einigen Jahren kontinuierlich zu.«
Update 7.30 Uhr: Piratenpartei erhebt schwere Vorwürfe gegen Innenminister
Die Piratenpartei in Sachsen erklärt, »die Empörung des Facebookmobs , der wieder einmal mit falschen Zahlen und übertriebenen Darstellungen hetzte«, sei »wenig überraschend. Rechtsradikale Gruppierungen machen in der Stadt schon seit Monaten gegen das angebliche Luxushotel für Flüchtlinge mobil«. Sie hätten zuletzt bei der Bürgermeisterwahl sogar nahezu 10 Prozent erreicht. Die Aufmärsche seien »der nächste Schritt einer gezielt in Kauf genommenen Eskalation«, sagte Marcel Ritschel, Generalsekretär der sächsischen Piraten. Das Beispiel Freital zeige zudem, »wie das Innenministerium mit der Situation umgeht. Hier wird eine Eskalation der Situation mindestens hingenommen, wenn nicht sogar gefördert und gewollt. Erst recht nach der Veranstaltung mit Thomas de Maizière in Freital letzte Woche, bei der auch Lutz Bachmann und Tatjana Festerling ihre rassistischen Statements verbreiten durften und bei der der Minister seine harte Linie gegen Flüchtlinge darlegte«, so Ritschel. »Man schafft Raum für rechtsradikale Propaganda. Statt zu informieren«, gieße Sachsens CDU-Innenminister Markus Ulbig »mit polemischen Forderungen wie der Wiedereinführung von Grenzkontrollen nur weiter Öl ins Feuer«.
Freital: Flaschenwürfe auf Flüchtlingsunterstützer
Berlin. Als am Mittwoch rund 50 weitere Flüchtlinge eintreffen, darunter mehrere Frauen mit kleinen Kindern, gröhlen »besorgte Bürger« und Neonazis ihre auch von Nachrichtenagenturen als »Protest« bezeichneten Hass über die Straße: Den dritten Abend in Folge hat es im sächsischen Freital einen Auflauf gegen die Unterbringung von Asylbewerbern in einem ehemaligen Hotel gegeben. Nach Angaben der Polizei versammelten sich rund 160 Gegner der Erstaufnahmeeinrichtung am Mittwoch an der Zufahrt zu dem Gebäude.
Die Polizei teilte inzwischen mit, dass auch sie von der Ankunft der neuen Flüchtlinge mitten in den seit Tagen anhaltenden rassistischen Aufläufen der Heimgegner erst kurzfristig unterrichtet worden sei.
Gegen den rassistischen und asylfeindlichen Aufmarsch gab es erneut Proteste: Rund 80 Menschen stellten sich dem rechten Auflauf entgegen, nicht zuletzt um Übergriffe auf die Flüchtlinge zu verhindern. Rund 100 Polizisten waren im Einsatz - sie konnten es aber erneut nicht verhindern, dass es Übergriffe auf die Flüchtlingsunterstützter gab. Linke wurden mit Flaschen beworfen. Dabei wurde ein Mann leicht verletzt.
Freital – Wie man ein Flüchtlingsheim in Sachsen verteidigt.
Ein bewegender und bestürzender Bericht von Hannes Kling
Die Opferberatung RAA und das Kulturbüro Sachsen sehen die Aufmärsche gegen die Asylunterkunft klar rassistisch motiviert. »Die Art und Weise wie der Rassismus in Freital sichtbar wird, hat eine besondere Qualität.« sagt Andrea Hübler von der Beratungsstelle für Betroffene rechter Gewalt der RAA Sachsen e.V. und ergänzt: »In Freital treten die Rassisten deutlich aggressiver und offener auf, als wir es in anderen sächsischen Orten bisher beobachten konnten. Immer wieder versammeln sie sich direkt vor dem Heim und bauen eine Drohkulisse auf. In den letzten Monaten kam es bereits zu einer ganzen Reihe von Übergriffen und Bedrohungen gegenüber Asylsuchenden und den Menschen, die diese unterstützen. Von besorgten, asylkritischen Bürgern zu sprechen, die ihrer Angst Ausdruck verleihen, ist hier fehl am Platz.«
»Stadtverwaltung und regionalen Unternehmen sollten sich deutlich auf die Seite der hilfesuchenden Menschen stellen und sich ohne Wenn und Aber zum Menschenrecht auf Asyl bekennen«, sagt Markus Kemper vom Mobilen Beratungsteam des Kulturbüro Sachsen e.V. und ergänzt: »Die hasserfüllten Aktionen und Übergriffe müssen durch die Stadt endlich klar verurteilt werden. Statt die Verantwortung auf andere abzuschieben, könnte darüber nachgedacht werden, wie in Freital die interkulturellen Kompetenzen erhöht und Ausbildungs- und Arbeitsbereiche für geflüchtete Menschen geöffnet werden können.«
In Freital engagiert sich bereits ein Willkommensbündnis für die Flüchtlinge. Der Zusammenschluss von engagierten Bürgern aus Freital und Umgebung setze sich für eine Willkommenskultur für und die Unterstützung von geflüchteten Menschen in der Region ein.
Die Migrations-Beauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz, hat sich inzwischen alarmiert über die Situation in Freital gezeigt. Ein Aufruf zur Gewalt gegen Flüchtlinge sei »in keiner Weise akzeptabel«, sagte die SPD-Politikerin der »Berliner Zeitung«. Es sei »äußerst besorgniserregend«, was in Sachsen geschehe. »Es gibt ja vor Ort offensichtlich Menschen, die genau das wollen, aufwiegeln und eine bösartige Stimmung erzeugen. Das weckt durchaus schlimme Erinnerungen.«
Auch der Gründer der rechten Pegida-Bewegung, Lutz Bachmann, hatte zu dem Aufmarsch gegen das Flüchtligsheim aufgerufen. Dazu sagte Özoguz, man könne nicht jeder Fahne hinterher laufen, nur weil man Ängste habe oder unsicher sei. »Was Pegida ist und will, war nach kurzer Zeit klar. Man muss erwarten können, dass die Menschen auch wachsam sind.«
Schon in der Nacht zum Mittwoch hatten Gegner des Asylbewerberheims aggressiv Stimmung gemacht. Rund 200 Unterstützer der Flüchtlinge hatten sich schützend um das Gebäude postiert und wurden aus den Reihen von 80 Gegnern unter anderem mit Eiern beworfen und beschimpft. ISpäter am Abend gab es eine Neonazi-Attacke auf Antifaschisten. Auch wurde gegen Journalisten im Internet gehetzt.
Sachsens Ausländerbeauftragter Geert Mackenroth (CDU) warf den Organisatoren der Aufmärsche gegen die Flüchtlinge aggressive Stimmungsmache vor. »Manche Formulierungen der Rädelsführer enthalten zumindest zwischen den Zeilen Aufrufe zu Gewalt gegen Personen und Sachen«, erklärte er. Agenturen/nd
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