Über Zehntausend für europäische Schuldenkonferenz
Petition von Erlassjahr und anderen findet binnen weniger Tage viele Unterstützer / Ökonom Piketty: Restrukturierung der Schulden nicht nur in Griechenland unvermeidlich / Auch SYRIZA und Linkspartei dafür
Was haben der französische Ökonom Thomas Piketty, das globalisierungskritische Netzwerk Attac und »Erlassjahr«, das größte entwicklungspolitische Bündnis in Deutschland, gemeinsam? Sie alle fordern eine europäische Konferenz, bei der über einen umfassenden Schuldenschnitt für Griechenland und andere Staaten beraten werden soll.
Das Thema Schuldenerleichterung hatte bei den seit Tagen anhaltenden Verhandlungen über die Bedingungen, welche die Gläubiger Griechenland auferlegen wollen, um im Gegenzug einige Milliarden Euro auszuzahlen, kaum eine Rolle gespielt. Zwar drängte die SYRIZA-geführte Regierung von Beginn ihrer Amtszeit an erst auf einen Schuldenschnitt, später auf eine Erleichterung beim Schuldendienst durch Verschiebung oder Umstrukturierung der Belastungen, wenigstens aber auf eine Koppelung des Schuldendienstes an das Wirtschaftswachstum.
Schon 2013 meinte Alexis Tsipras, inzwischen Premier in Athen, es sei noch nie »so dringlich wie jetzt, eine globale, solidarische und dauerhafte Lösung für das Schuldenproblem zu finden«. Jeder weitere Aufschub habe, so die damalige Warnung des SYRIZA-Vorsitzenden, »nur zur Folge, dass die wirtschaftlichen und sozialen Kosten weiter ansteigen, und zwar nicht nur in Griechenland, sondern auch in Deutschland und den übrigen Mitgliedern der Währungsunion«.
Doch davon wollten bisher insbesondere der Internationale Währungsfonds, sofern es seine Positionen als Gläubiger anging, und die anderen Gläubiger, vor allem die Bundesregierung, nichts wissen. Eine Schuldenerleichterung sei »derzeit« kein Thema, hieß es immer wieder.
Für über 10.000 Unterstützer einer Petition, die vor einigen Tagen vom Bündnis »Erlassjahr« auf den Weg gebracht wurde, ist die Frage der Entschuldung dagegen genau das: ein sehr drängendes Thema. »Die Gläubiger müssen endlich einsehen, dass kein Weg an einem umfassenden Schuldenschnitt vorbeiführt«, sagt Jürgen Kaiser, politischer Koordinator von »Erlassjahr«. 2010 hätten die Regierungen im Fall Griechenland »mit dem ersten sogenannten Rettungspaket dem schlechten Geld der Banken das gute Geld der Steuerzahler hinterhergeworfen«. Der dann 2012 gewährte Schuldenschnitt durch den Privatsektor reiche nicht aus. »Ein wirklicher Neuanfang hätte einen Erlass von mindestens 50 Prozent aller Forderungen erfordert«, so Kaiser.
Auch die Nichtregierungsorganisation WEED fordert längst die Streichung »untragbar gewordener und ungerechter Schulden« sowie »neue internationale Regeln für die faire und zügige Lösung von Schuldenkrisen«. Es fehle an einem geordneten Insolvenzverfahren, meint Markus Henn von der Organisation. Mit einem solchen Verfahren, das derzeit in den Vereinten Nationen auf Initiative der Entwicklungs- und Schwellenländer diskutiert werde, »könnte die Eurozone die Krise längst hinter sich haben«.
Denn das Problem hat nicht nur Griechenland: Auch viele anderen europäischen Staaten sind hoch verschuldet, so haben etwa auch Italien, Portugal, Irland, Zypern und Belgien eine Staatsschuldenquote von über 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Zum Vergleich: Deutschland erreichte 2014 eine Schuldenhöhe von knapp 75 Prozent des BIP.
Die Petition, die den Titel »Sprengt die Schuldenketten Griechenlands« trägt, schlägt nun vor, den Weg über »eine europäische Konferenz« zu gehen, bei der dann nicht nur die Schuldenlast von Griechenland, die nach Ansicht vieler Experten auch künftig jede eigenständige Entwicklung des Landes unmöglich macht und schon gar nicht durch die umstrittene Austeritätspolitik, also Kürzungen, erreicht werden kann, sondern auch die von anderen europäischen Länder anpackt.
Vorgeschlagen werden zudem so genannte Schuldenaudits, also Überprüfungen der aktuellen Lage, die dann zu Schuldenerlässen führen könnten, deren Kosten diejenigen Banken und Finanzinstitutionen tragen sollen, »die von den sogenannten Rettungspaketen in Wahrheit profitiert haben«, wie es in der Petition heißt.
Wissenschaftliche Unterstützung kommt vom französischen Ökonom Piketty, der mit seinem Buch über »Das Kapital im 21. Jahrhundert« bekannt wurde – und ebenfalls eine Schuldenkonferenz für Europa fordert. Ein solches Treffen »über die gesamten Schulden Europas« sei heute so nötig wie dies nach dem Zweiten Weltkrieg des Fall gewesen sei.
»Eine Restrukturierung der Schulden ist nicht nur in Griechenland, sondern in vielen europäischen Ländern unvermeidlich«, sagte Piketty jetzt gegenüber der »Zeit«. Sein Vorschlag: eine neue, demokratisch bestimmte europäische Institution, »die über das zulässige Schuldenniveau entscheidet, um einen Wiederanstieg der Schulden auszuschließen«. Der Franzose könnte sich hier zum Beispiel »eine europäische Parlamentskammer« vorstellen, »die aus den nationalen Parlamenten hervorgeht«.
Piketty argumentiert nicht nur volkswirtschaftlich, sondern auch demokratiepolitisch. Es unterlaufe die Demokratie in Europa, wenn innerhalb der EU auf »vor allem von Berlin durchgepowerten Regelautomatismen bei der Verschuldung von Staaten« bestanden werde. Statt anderen Staaten »Lektionen« zu erteilen – was Piketty mit Blick auf die großzügige Teilentschuldung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg fr unmoralisch hält –, solle sich Kanzlerin Angela Merkel für einen Neustart mit einer Schuldenkonferenz einsetzen. Dann könne man »bei null neu anfangen. Aber dann mit einer neuen, sehr viel strengeren Haushaltsdisziplin als früher«.
Die Idee einer Schuldenkonferenz hat auch in linken Parteien Anhänger. Theodoros Paraskevopoulos, einer derführenden ökonomischen Köpfe von SYRIZA, hat sich ebenso bereits für eine Schuldenkonferenz ausgesprochen wie die Vorsitzende der Linkspartei, Katja Kipping. Schon im Frühjahr pochte sie darauf, dass es eine gemeinsame europäische Verständigung darüber gibt, was angesichts der Schulden »der richtige Weg wäre«.
Die Rückzahlung an eine Wachstumsklausel zu binden, wie Kipping im Fall Griechenland vorschlug, steht auch auf der Liste der aktuellen Forderungen der Regierung in Athen. Wichtig sei, so Kipping, »dass man jetzt nicht dieses Land sozusagen so sehr erwürgt, dass sich die Wirtschaft sich nicht erholen kann«.
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