Sorge vor dem griechischen Präzedenzfall
Der Austritt Griechenlands aus dem Euro ist wie SYRIZAs erfolgreicher Widerstand gegen den Kürzungskurs der Gläubiger nicht vorgesehen
Er soll unbedingt vermieden werden. Ein Schreckensbild ist der Grexit für manch einen aber schon längst nicht mehr. Alle direkt Beteiligten erklären zwar unermüdlich, den Austritt Griechenlands aus dem Euro unbedingt vermeiden zu wollen, doch je kürzer die Zeit wird, um eine Einigung zu finden, desto lauter werden Rufe nach einem »Plan B« für den Fall des Scheiterns der Verhandlungen zwischen der griechischen Regierung und den Gläubigerinstitutionen.
Ideen dafür, wie Griechenland ohne den Euro weitermachen könnte, gibt es auf Seiten von Hellas schon länger. Linksradikale Kräfte in der Regierungspartei SYRIZA und die Kommunisten im Mittelmeerstaat forderten bereits vor der Parlamentswahl im Januar, ihr Land solle sich aus der Gemeinschaftswährung verabschieden. Der Abgeordnete Kostas Lapavitsas, Wortführer der Linken Plattform in SYRIZA, wiederholte das Begehren in dieser Woche. »Griechenland kann einfach den Anforderungen des Euro nicht nachkommen«, so Lapavitsas im Interview mit der »Zeit«. Am Freitag ging Günther Oettinger, Mitglied der EU-Kommission und damit eines Verhandlungspartners im Gläubigerbündnis, noch einen Schritt weiter. Man sei auf den Grexit »nicht unvorbereitet«. Denn: »Der Grexit ist für uns kein Ziel, aber er wäre unvermeidbar, wenn wir in den nächsten fünf Tagen keine Lösung bekommen«, so der CDU-Politiker im Deutschlandfunk.
Das muss verwundern. Denn ein Szenario für das Ende der Mitgliedschaft im Euro ist in den EU-Verträgen, die Oettinger als Kommissar für Digitales hüten soll, nicht vorgesehen. Im Lissaboner EU-Vertrag ist zwar in Artikel 50 geregelt, dass ein Mitgliedsstaat aus der Europäischen Union austreten kann. Doch für die Zugehörigkeit zur Eurozone gibt es keine entsprechende Regelung. Da bisher stets Länder hinzukamen und noch keines die EU wieder verlassen hat, gibt es allerdings selbst dafür kein konkretes Verfahren. Griechenland wäre ein Präzedenzfall. »Unabhängig davon sind aber immer Änderungen möglich, wenn alle Vertragsparteien zustimmen«, erklärt der Europaforscher Lukas Oberndorfer gegenüber »nd«. Das bedeutet auch, dass Griechenland aus der Eurozone austreten könnte, wenn alle anderen Beteiligten damit einverstanden wären.
Bedeutender als diese rechtlichen Fragen schätzt Oberndorfer jedoch die faktische Möglichkeit ein, dass Griechenland den Euro aufgibt beziehungsweise dazu gezwungen werden könnte. »Wenn sich Griechenland für den Austritt entscheidet, würde alles sehr schnell gehen. Man könnte dann nicht abwarten, bis alle Staaten einem formellen Ersuchen stattgegeben haben«, so Oberndorfer. Es sei nicht davon auszugehen, dass innerhalb weniger Tage und Wochen eine verhandelte Einigung über den Austritt zustande käme. Es würde also zum faktischen Vollzug kommen, anschließend müsste geklärt werden, ob der Schritt völkerrechtlich geheilt werden kann. Nach Meinung des österreichischen Rechtswissenschaftlers wäre der Grexit gegeben, wenn die griechische Regierung entscheidet, die Löhne und Gehälter der Beamten in einer eigenen Währung auszuzahlen. Der Austritt wäre also nicht direkt daran gekoppelt, dass der Mittelmeerstaat die Zahlungsunfähigkeit erklärt. Es ist daher auch denkbar, dass Athen die Insolvenz bekannt gibt, aber versucht, in der Eurozone zu bleiben. Dies hinge vor allem von der Reaktion der Europäischen Zentralbank ab, also ob sie bereit wäre, Griechenland weiter Liquidität zur Verfügung zu stellen.
Über die Bedeutung des Grexits herrscht große Uneinigkeit. (Neo-)liberale Ökonomen halten das Risiko für beherrschbar. Andere Wirtschaftswissenschaftler warnen vor dem Wiederaufflammen der Krise in ganz Europa und unvorhersehbaren Folgen. Bundesbankchef Jens Weidmann wird nicht müde zu betonen, dass das Eurosystem dadurch nicht gefährdet wäre. Der Bestand des Euro sei »nicht an die Entwicklung in Griechenland geknüpft«, sagte Weidmann erst vor einer Woche verschiedenen europäischen Zeitungen.
Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman sieht hingegen nicht mehr die Risiken eines Grexits im Zentrum der Debatte, sondern die Frage, ob die links geführte griechische Regierung überhaupt erfolgreich sein darf. »Ist das Ziel, SYRIZA zu brechen?«, fragte Krugman in einem Blogbeitrag für die »New York Times« am Donnerstag. »Kommt es nun zum Grexit, würde dies passieren, weil die Gläubiger oder zumindest der IWF dies wollten«, so Krugman weiter. Auch Lukas Oberndorfer sieht in der politischen Auseinandersetzung das Haupthindernis für eine Einigung: »Sollte es der griechischen Regierung gelingen, merkliche Verbesserungen im Vergleich zum bisherigen Schuldenprogramm durchzusetzen, dann hätte eine linke Regierung gezeigt, dass es zumindest die Möglichkeit gibt, neoliberale Politik aufzuweichen.« Bei den Gläubigern sieht er jedoch keine Bereitschaft zu Zugeständnissen. Diese seien zwar in Sorge, das Projekt Euro zu riskieren. Andererseits befürchten sie, so Oberndorfer, dass der Erfolg einer linken Regierung eine Kettenreaktion nach sich ziehen könnte. Dieser Präzedenzfall scheint also bereits ausgeschlossen.
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