Südeuropa wird lateinamerikanisiert
Das deutsche Hegemonialstreben führt die Eurozone an den Rand des Zusammenbruchs, meint Tomasz Konicz
Es war eine Realsatire von einer Pressekonferenz, die Angela Merkel mit ihrem Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) am Montag zur Griechenlandkrise aufgeführt haben. Doch niemand brach in schallendes Gelächter aus, als die »mächtigste Frau der Welt« (»Forbes«) behauptete, sie werde das Ergebnis des kommenden Referendums in Hellas »respektieren« und in diesem Wahlgang nicht intervenieren: »Es ist das legitime Recht einer griechischen Regierung, ein Referendum anzusetzen«, erklärte Merkel - während zugleich die Europäische Zentralbank den griechischen Bankensektor in die Knie zwang und eine Fristverlängerung der europäischen Kreditprogramms bis zum Referendum, um die Athen gebeten hat, damit die Griechen ohne Druck über ihre Zukunft abstimmen könnten, abgelehnt wurde.
Damit sollen die Griechen in einem gezielt herbeigeführten sozioökonomischen Ausnahmezustand über ihr Schicksal abstimmen - während die Kanzlerin zugleich vorgibt, in die Willensbildung des griechischen Volkes nicht eingreifen zu wollen. Es ist offensichtlich: Berlin bemüht sich darum, in Griechenland einen Regierungssturz zu provozieren, indem das Land destabilisiert wird. Das ist keine neue deutsche Taktik, sondern eine Fortführung der Methoden, mit denen Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) die Staaten Südeuropas bei Krisenausbruch in das desaströse deutsche Sparregime zwangen, indem sie jedwede Hilfen verweigerten und die Krisendynamik eskalieren ließen, bis diese aufgrund einer unerträglichen Zinslast kapitulierten. Südeuropa wird lateinamerikanisiert, während die Bundesrepublik in die Rolle der »Amerikaner Europas« (Jan Fleischhauer) schlüpft und eben jene widerliche imperialistische Machtpolitik betreibt, die für kapitalistische Hegemonialmächte charakteristisch ist.
Diese Taktik des »Regime Change« wurde gegenüber der griechischen Linksregierung seit deren Wahlsieg verfolgt: Von Paul Krugman über Gesine Schwan, die »Washington Post« und »The Guardian« ist man sich darüber einig, dass Schäuble von Anfang an »SYRIZA an die Wand fahren zu lassen« wollte, wie es Schwan formulierte. Der Ökonom Krugman sprich darüber, dass SYRIZA ein unannehmbares neoliberales Ultimatum gestellt wurde, bei dessen Annahme die Linksregierung jedwede Legitimität verloren hätte, während die »Washington Post« darauf verwies, dass die Erpressungsstrategie gegenüber Athen darauf abziele, die linken Bewegungen in Spanien und Portugal im Vorfeld der kommenden Wahlen zu schwächen. »The Guardian« sieht die Ausfälle Sigmar Gabiels gegen die griechische Regierung (»Ideologie«) bei der besagten Pressekonferenz von einem unterschwelligen Wunsch befeuert: »Alexis Tsipras muss gestoppt werden.«
Die wirtschaftspolitische Strategie, mit der die deutsche Funktionseliten ihren jüngsten europäischen Hegemonialanlauf unternehmen, kann als Neomerkantilismus bezeichnet werden. Die seit der Euroeinführung mittels der Agendapolitik realisierten Leistungsbilanzüberschüsse der Bundesrepublik gegenüber der Eurozone belaufen sich inzwischen auf die »Kleinigkeit« von 830 Milliarden Euro, die dem europäischen Schuldenberg zugerechnet werden müssen. Der deutsche Anteil an der Schuldenkrise in Südeuropa beläuft sich übrigens auf rund 452 Milliarden Euro an Leistungsbilanzüberschüssen, die Deutschland seit Euroeinführung gegenüber diesen Ländern dank Hartz IV und Agenda 2010 akkumulieren konnte. Diese Schuldenkrisen nutzte Berlin, um das verhängnisvolle Spardiktat in Europa durchzusetzen, das gerade dabei ist, den Währungsraum zu sprengen.
Die Linke hierzulande sieht sich deshalb mit der Aufgabe konfrontiert, sich dem deutschen Hegemonialstrebens zu stellen und adäquate europäische Gegenstrategien zu entwickeln: Wie kann effektive Solidarität mit den Bewegungen aussehen, die gegen das deutsche Spardiktat kämpfen? Wie kann der von den Massenmedien angefachten chauvinistischen Welle begegnet werden, die derzeit die öffentliche Meinung zur Griechenlandkrise dominiert - etwa indem man die Zusammenhänge zwischen Agendapolitik und Neomerkantilsimus herausarbeitet? Und schließlich stellt sich die Frage, wie Merkel und Schäuble zur Verantwortung zu ziehen wären für ihre größenwahnsinnige Politik, bei der die Menschen in Südeuropa in Schuldknechtschaft getrieben werden - und die den europäischen Währungsraum in Elend versinken lässt.
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