Nicht mehr als warme Worte

In El Salvadors Textilindustrie herrschen prekäre Arbeitsbedingungen, sagt Arbeitsrechtler Sergio Chávez

  • Lesedauer: 3 Min.
Sergio Chávez ist Arbeitsrechtsexperte aus El Salvador. Seit 1998 arbeitet der 59-Jährige für das National Labor Committee, einer Menschenrechtsorganisation mit Hauptsitz in New York, die sich für die Menschen- und Arbeitsrechte in den Maquilas (Nähzentren und Weltmarktfabriken) kümmert. Der Jurist reiste kürzlich auf Einladung der Christlichen Initiative Romero durch die Bundesrepublik. Mit ihm sprach Knut Henkel.

Warum waren Sie in Deutschland?
Ich will auf die Arbeitsbedingungen in der Bekleidungsindustrie El Salvadors aufmerksam machen, wo nicht nur für den US-, sondern auch für den europäischen Markt produziert wird.

Sportartikelhersteller wie Puma, Adidas und Reebok produzieren dort, aber auch der Outdoor-Riese North Face. Unterscheiden sich die Arbeitsbedingungen von denen in anderen Branchen?
In Mittelamerika wird in Weltmarktfabriken produziert, die in Freihandelszonen liegen, wo viel für den US-Markt produziert wird. Rund 350 000 Menschen arbeiten in solchen Fabriken, 72 000 davon in El Salvador - das Gros im Textilsektor. Die Löhne, die in diesen Fabriken gezahlt werden, orientieren sich am Mindestlohn von 210,90 US-Dollar pro Monat. Das ist zu wenig, um davon würdevoll leben zu können. Selbst die Regierung gibt an, dass eine vierköpfige Familie unterhalb eines Einkommens von 387,25 US-Dollar als arm gilt.

Zahlen die großen Sportartikelhersteller mehr?
Sie behaupten, dass sie neue Bestimmungen in ihrer unternehmerischen Selbstverpflichtungserklärung, dem Code of Conduct, anstreben. Aber von den warmen Worten bleibt in der Praxis nichts übrig, auch wenn die Unternehmen behaupten, dass sie mehr als den gesetzlichen Mindestlohn zahlen. Mit den Produktivitätszulagen kommen die Arbeiter auch auf einen etwas höheren Lohn, aber dafür arbeiten sie mehr als die gesetzlich fixierten 44 Stunden. Die Unternehmen öffnen ihre Tore schon mehr als eine halbe Stunde vor dem offiziellen Arbeitsbeginn und die Arbeiter beginnen dadurch oft früher. Auch die Pausen werden von den Arbeitern nicht ausgeschöpft - statt 45 Minuten Mittagspause sitzen viele nach 15 Minuten wieder an der Maschine. In der Fabrik von North Face ist dem so - das haben mir mehrere Arbeiter versichert.

Wie reagieren die Gewerkschaften auf die faktische Verletzung der Arbeitsrechte?
Die Gewerkschaften sind alles andere als stark in El Salvador und es gibt keine, die in El Salvador einen Tarifvertrag in einer Maquila ausgehandelt hat. Das liegt daran, dass die gesetzlichen Bestimmungen vorschreiben, dass mindestens 50 Prozent der Arbeiter plus ein weiterer Stimmberechtiger es in einer Gewerkschaft organisiert sein müssen, um einen Tarifvertrag aushandeln zu dürfen. Das ist eine hohe Hürde, denn in der Realität könnten mehrere Gewerkschaften in der gleichen Fabrik antreten - das führt zum Kannibalismus unter den Gewerkschaften und zu korrupten Gewerkschaftsorganisationen wie Fenastras. Die agiert im Interesse der Unternehmer und verhindert, dass eine Gewerkschaft so stark wird, dass sie auf Tarifverhandlungen pochen kann.

Profitiert El Salvador wenigstens von den Unternehmen in den Freihandelszonen, zahlen sie Steuern?
Nein. Die Argumentation lautet, dass Konzerne Jobs bringen. Das ist korrekt, aber sie zahlen in den Freihandelszonen keine Abgaben an die Kommunen, keine Umsatzsteuer, keine Gewinnabgaben, keine Einfuhrsteuern für Maschinen und andere Importe. Selbst von Benzinabgaben für ihren Fuhrpark sind sie befreit. Das sind vorteilhafte Produktionsbedingungen. Auch ein Grund, weshalb North Face die Produktion ausbauen will - statt 1000 sollen bald 3000 Menschen für die Firma schuften.

Auf der anderen Seite muss der Staat für die Infrastruktur aufkommen. Sind die Freihandelszonen ein Zuschussprojekt?
Das ist ein Widerspruch. Aber das Freihandelsabkommen mit den USA sieht die Sonderregelungen in Freihandelszonen vor und es hat den Anschein, dass die neue Regierung daran nichts ändern wird. Sie verweist darauf, dass El Salvador dringend Investitionen braucht, denn das Land hatte in den vergangenen Jahren das geringste Wachstum in der Region.

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