Entscheidung mit politischer Dimension
In einem der größten Insolvenzverfahren in Deutschland bestimmen nun die Anleger über die Zukunft
Die streikenden Beschäftigten der Deutschen Post verzögern das Insolvenzverfahren der Windenergiefirma Prokon. Täglich meldeten sich Wertpapierbesitzer bei Insolvenzverwalter Dietmar Penzlin in Itzehoe. Mancher der 75 000 Anleger hatte die notwendigen Formulare nicht erhalten oder sorgte sich, ob seine Stimmvollmacht rechtzeitig angekommen war. Um der Flut der Anfragen Herr zu werden, richtete Penzlin sogar eine eigene Servicehotline ein. Letztlich verlängerte der Rechtsanwalt die Abgabefrist bis zum Beginn der Gläubigerversammlung in den Hamburger Messehallen am Donnerstag.
Prokon war 1995 von »Ökopionier« Carsten Rodbertus in der norddeutschen Kleinstadt Itzehoe gegründet worden. In grünen und linken Milieus galt der Zopfträger lange als charmanter Charismatiker mit Sachverstand. Vor zwanzig Jahren war Windenergie noch kein vom Staat hoch subventionierter Selbstgänger bei den Banken. Dank eines Werbefeldzugs vor allem in großen Städten - so klebte gefühlt jahrelang in allen Hamburger U-Bahn-Wagen Prokon-Reklame - konnte der gelernte Industriekaufmann bei fast 100 000 Kleinanlegern und Gläubigern viel Geld einsammeln. Gegen das Versprechen hoher Renditen brachte er die Kapitalgeber dazu, insgesamt rund 1,4 Milliarden Euro für »sauberen Strom« bei ihm anzulegen.
Im Mai 2014 platzte die Blase: Das Insolvenzverfahren über die zahlungsunfähige Prokon Regenerative Energien GmbH wurde eröffnet. Neben Dutzenden Windparks gehörten mittlerweile auch rumänische Wälder und Beteiligungen in Finnland zum Prokon-Imperium. Ob sich Rodbertus wirtschaftlich übernommen hat - die Buchhaltung gilt als desolat - oder ob der vermeintliche Gutmensch kriminelle Energien auslebte, ist umstritten. Als Geschäftsführer und Gesellschafter ist Rodbertus raus aus der Firma. Ob sich der Ex-Manager noch vor Gericht verantworten muss, ist offen. Staatsanwälte ermitteln.
Zehntausend Anleger werden an der Elbe erwartet. »Sie haben die Wahl zwischen Pest und Cholera«, erklärte die sächsische Bundestagsabgeordnete der Linken, Susanna Karawanskij, Mitglied im Finanzausschuss und Prokon-Kennerin. »Es geht nur darum, Verluste zu begrenzen.« Egal, wie die Entscheidung in der nichtöffentlichen Veranstaltung ausfällt, die Anleger werden über 40 Prozent ihres Kapitals abschreiben müssen.
Zur Auswahl stehen zwei Modelle: Die Gläubiger können sich für eine Genossenschaft oder für die Übernahme durch den Energiekonzern EnBW entscheiden. Wird keiner dieser beiden Insolvenzpläne angenommen, wird Prokon abgewickelt.
Finanziell am günstigsten könnte das Genossenschaftsmodell laufen. Hier wären die Anlegerverluste wohl um einige Prozentpunkte kleiner. Aber sie müssten sich über viele Jahre binden, eine Anleihe finanzieren und wären als »Genossen« unternehmerisch tätig. Weitere Verluste drohten.
Das Investorenmodell mit dem Verkauf an EnBW bescherte dagegen schnell das verbliebene Geld. Obwohl Penzlin aufgrund neuer Bewertungen die prognostizierte Quote für die Gläubiger von 58,9 auf 57,8 Prozent absenkte, »unterstreicht« ein Firmensprecher, dass EnBW an seinem Kaufgebot in Höhe von 550 Millionen Euro festhalte. Der Preis gilt unter Experten als »fair«. Die landeseigene Firma hatte sich gegen andere Bewerber durchgesetzt.
Im Fall Prokon schlummert eine politische Grundsatzentscheidung: Staat oder Genossenschaft? Zwar wollen sich die politischen Parteien in Berlin nicht konkret einmischen. »Dies ist eine Investitionsentscheidung, das wollen wir den Leuten nicht vorkauen«, lässt etwa die energiepolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, Julia Verlinden, wissen. Grundsätzlich dürften aber die meisten Grünen, Sozialdemokraten und Linken eine Genossenschaft vorziehen - Energiewende und Digitalisierung sprechen aus ihrer Sicht für dezentrale Lösungen.
»Pro EnBW« argumentiert dagegen Professor Heinz-J. Bontrup, Energieexperte an der Westfälischen Hochschule und Sprecher der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik. Wenn einer der großen vier Stromkonzerne wirklich Ernst mache mit der Energiewende, müsse man dies unterstützen, »und nicht immer gegen das Schienenbein treten«. Die baden-württembergische Firma sei seit dem Rückkauf der französischen Anteile durch das Land ein quasi kommunales, jedenfalls Staatsunternehmen. Der neue Vorstand um Frank Mastiaux habe »die Zeichen der Zeit erkannt«. Das Unternehmen verfüge über die nötige Kapitalstärke, um den Ausbau der Windenergie kräftig voranzutreiben.
Bisher sollen 36 000 Wertpapierbesitzer eine Zustimmungserklärung für das Genossenschaftsmodell abgegeben haben. Daher wird zunächst über die Frage der neuen Rechtsform abgestimmt. Wird das Genossenschaftsmodell angenommen, wäre die EnBW-Offerte automatisch aus dem Rennen.
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