Mehr als Opportunität
Für den EWG-Beitritt Griechenlands 1981 sprachen viele gute Gründe
Der 28. Mai 1979 ist ein herrlicher Frühsommertag in Athen. Kaum ein Wölkchen zeigt sich am Himmel, die Temperaturen klettern bis auf 27 °C. Eine angenehme Abwechslung für die aus kühleren Gegenden Europas angereiste Politprominenz. Im Zappeion, einem mächtigen klassizistischen Bauwerk am Rande des Nationalgartens in der Nähe von Parlament und Akropolis, hat sich alles versammelt, was in der Europäischen Gemeinschaft (EG) Rang und Namen hat: Deren amtierender Präsident, Frankreichs Staatschef Valéry Giscard d’Estaing, die Regierungschefs von Belgien, den Niederlanden, Italien, Irland und Luxemburg sowie die Außenminister Großbritanniens, Dänemarks und der Bundesrepublik sind zu einem Festakt angereist. Knapp fünf Jahre nach dem Ende der Obristenjunta wird der Vertrag zum Beitritt Griechenlands in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) unterzeichnet. Die Aufnahme zum 1. Januar 1981 soll gleichzeitig der Startschuss für die zweite Vergrößerungsrunde der EWG werden: nach der Nordwest- nun die Süderweiterung.
Der Blick in eine sonnige Zukunft ist allerdings durchaus getrübt. Noch im Januar 1976 hatte die EG-Kommission, politisch zu jener Zeit aber ohne jeglichen Einfluss, von einer schnellen Aufnahme Griechenlands abgeraten. Die Wirtschaft sei landwirtschaftlich geprägt, nicht konkurrenzfähig, leide an Inflation, Arbeitslosigkeit und einem Handelsdefizit. Gewarnt wurde auch vor einem wachsenden Nord-Süd-Gefälle.
Auch in Griechenland gab es erhebliche Widerstände. So blieben die aufstrebenden linken Parlamentsparteien dem Festakt fern. Die moskaunahe KKE-Ausland wetterte gegen das »Europa der multinationalen Unternehmen im Dienste der USA und der NATO«. Und Andreas Papandreou, Chef der sozialdemokratischen PASOK, versprach für den Fall eines späteren Wahlsieges, den »Austritt aus dem Gemeinsamen Markt zu verlangen«. Man akzeptiere es nicht, dass die wirtschaftlichen und politischen Entscheidungen Griechenlands von Brüssel diktiert werden würden.
Die schmerzhaften Erinnerungen an die Junta-Zeit, als Verhaftungen, Folter und Deportationen auf karge Gefängnisinseln zum Alltag gehörten, waren noch frisch. Die USA hatten den Militärputsch unterstützt. Auch Politiker aus den EG-Staaten, vor allem aus Deutschland, äußerten unverhohlen Sympathien für die Junta. CSU-Chef Franz-Josef Strauß erklärte nach dem Putsch 1967 die Drachme zur »heute stabilsten Währung der Welt« - eine Botschaft an Investoren.
Auch der betagte griechische Ministerpräsident Konstantinos Karamanlis, der nach der Junta-Zeit die konservative Partei Neue Demokratie (ND) gegründet hatte, wusste um die Verfehlungen des Westens - er unterschied aber zwischen der EG und den militärischen Interessen der USA. Im Sommer 1974 stellte Athen aus Ärger über das Zusehen bei der türkischen Invasion auf Zypern die militärische Zusammenarbeit in der NATO ein. Gleichzeitig erhoffte sich der Premier vom EWG-Beitritt neben einem wirtschaftlichem Aufschwung auch mehr Gewicht in der Außenpolitik.
Der EG ging es ebenfalls um Außenpolitik. Im März 1960, als über das Assoziierungsabkommen verhandelt wurde, stellte das CDU-geführte Auswärtige Amt fest, Griechenland sei neben der Türkei »der wichtigste NATO-Partner, um den für die Ölversorgung Westeuropas benutzten Seeweg im Mittelmeer zu sichern«. Und es nehme »eine wichtige Riegelstellung im Verteidigungssystem des Westens gegenüber dem Ostblock« ein.
Während es im Kalten Krieg darum ging, eine Annäherung des wirtschaftlich angeschlagenen Landes an den sozialistischen Block zu verhindern, trat später ein anderer Aspekt in den Vordergrund - der europäische Gedanke: »Der entscheidende Gesichtspunkt«, der es verbiete, den griechischen Beitrittsantrag abzulehnen, sei »die Unteilbarkeit des freien Europa«, ließ die sozialliberale Regierung verlauten. Europa lasse sich nicht einigen, wenn selektiv nach wirtschaftlicher oder außenpolitischer Opportunität entschieden werde. Absehbare wirtschaftliche Probleme Griechenlands durch den Beitritt zu der Freihandelszone westeuropäischer Industriestaaten sollten dadurch gelöst werden, dass Athen übergangsweise Einfuhrbeschränkungen bei zahlreichen Gütern beibehalten durfte.
Einige Politiker wollten zudem die nach den Jahren der Diktatur noch schwache griechische Demokratie stärken. Dazu zählte besonders Giscard d’Estaing, der 1974 nach dem Rücktritt der Junta Karamanlis aus dessen Pariser Exil mit einem Jet nach Athen fliegen ließ. Obwohl Karamanlis in seiner Zeit als Premier von 1955 bis 1963 selbst zu repressiven Methoden gegriffen hatte, war er der Hoffnungsträger der Westeuropäer. Er sorgte rasch für freie Wahlen und eine neue Verfassung, ließ die Junta-Offiziere verhaften und die Gefängnisse öffnen, schaffte die Monarchie ab und hob das Verbot der kommunistischen KKE auf.
Auch zählte in Westeuropa eine humanistische Bildung zu jener Zeit noch mehr als ein Studium in Jura oder BWL. Wie könne es sein, fragten sich viele, dass ausgerechnet das Land von Platon und Aristoteles, der Mathematik und Philosophie, die Wiege der Demokratie außen vor bleibe, wenn Europa größer, stärker und unabhängiger von den USA werde?
In der griechischen Bevölkerung gab es ebenfalls eine deutliche Zustimmung zum Beitritt. Immerhin sollte man als unbedeutendes Land fernab der EWG in den Kreis der wohlhabenden Westeuropäer aufgenommen werden. Zudem waren viele Griechen Westeuropa seit den 1960er Jahren durch die Arbeitsmigration näher gekommen. Und Intellektuelle vergaßen nicht, dass sie als Exilanten während der Junta-Zeit dort herzlich aufgenommen wurden.
Doch das Verhältnis blieb zwiespältig. Außenpolitisch hätten sich viele Griechen eine Annäherung an die UDSSR gewünscht, der man sich wegen des orthodoxen Glaubens verbunden fühlte. Und das Gefühl der Gastarbeiter, Europäer zweiter Klasse zu sein, blieb. Bis heute sagen Griechen vor Reisen nach London oder Berlin, sie fliegen »nach Europa«.
Dennoch: Als Papandreou 1980 die Wahlen gewann, wurde der EG-Beitritt nicht gestoppt. Die PASOK wollte auf die dringend benötigten Strukturfördermittel und Agrarbeihilfen aus Brüssel nicht verzichten. Trotzdem blieb die ND der Liebling der westeuropäischen Politiker - bis heute.
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