Keine Gefahr auf dem Balkan
Unionspolitiker wollen die Liste der sicheren Herkunftsstaaten ausweiten
Zweifelsohne hatte es einen demonstrativen Charakter, als Sachsen-Anhalt am Mittwoch 74 abgelehnte Asylbewerber aus Kosovo per Charterflug auswies. »Mit der Sammelrückführung setzen wir ein deutliches Signal, dass Asylbewerber aus dem Kosovo, bei denen kein Schutzbedarf festgestellt wird, das Land verlassen müssen«, erklärte Innenminister Holger Stahlknecht (CDU). Platz solle jenen gemacht werden, die wirklich Schutz benötigen, hieß es.
Nachdem im vergangenen Herbst Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien per Gesetz der Berliner Großen Koalition als sichere Herkunftsstaaten deklariert wurden, fordern nun vor allem Unionspolitiker eine Ausweitung des Status sicherer Staaten auch auf Kosovo und Albanien. Aus beiden Balkanstaaten haben in den vergangenen Monaten Tausende Flüchtlinge in Deutschland Asyl beantragt.
Eine hitzige Debatte darüber lieferte sich am Freitag der Thüringer Landtag, nachdem die oppositionelle CDU beantragte, »Wirtschaftsflüchtlingen« keinen Asylstatus mehr zu gewähren. Damit habe die CDU versucht, Flüchtlingen aus diesen Ländern ihr Grundrecht auf ein individuelles und rechtsstaatliches Asylverfahren zu nehmen, sagte die Grünen-Abgeordnete Astrid-Rothe-Beinlich. Der CDU-Abgeordnete Christian Herrgott hielt dagegen, Anträge von Menschen aus Westbalkanstaaten auf Asyl hätten nach allen Erfahrungen der Vergangenheit praktisch keine Aussicht auf Erfolg. Die anderthalbstündige Debatte wurde emotional geführt. Rot-Rot-Grün auf der einen Seite sowie CDU und AfD auf der anderen Seite machten sich gegenseitig schwere Vorwürfe.
Auch bundesweit spiegeln sich die Fronten des Erfurter Konfliktes wider. Konservative Politiker machen derzeit fast täglich Stimmung gegenüber Flüchtlingen aus den Balkanstaaten. So erklärte Bayerns Finanzminister Markus Söder unlängst, er wolle kein »Taschengeld« mehr an Flüchtlinge ausgeben, weil er Menschen aus dem Balkan keine »Anreize« schaffen wolle, nach Deutschland zu kommen. Hingegen lehnt die rheinland-pfälzische Integrationsministerin Irene Alt (Grüne) es ab, Kosovo als sicheres Herkunftsland anzusehen. »Diese Maßnahme ist völlig sinnlos, wie das Beispiel Serbiens zeigt.« Seit Serbien als sicherer Herkunftsstaat zähle, sei dort keineswegs die Zahl der Flüchtlinge gesunken, erklärte sie.
Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl kritisiert den Versuch, den Kreis von sicheren Herkunftsstaaten auszuweiten. Vor allem die Roma würden als Minderheit in Kosovo und anderen Balkanstaaten diskriminiert und aus fast allen Lebensbereichen ausgeschlossen, teilte Pro Asyl mit. Auch das Auswärtige Amt erwähnt in einem Bericht die ethnisch motivierte Diskriminierung gegenüber Roma in Albanien. Zudem gebe es dort keine effektive Strafverfolgung und keinen wirksamen Schutz gegen Bedrohungen durch Blutrache, rassistische und homophobe Übergriffe.
Trotzdem spricht Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) angesichts solcher Lebensumstände von einer »völlig berechtigten Diskussion« über die Ausweitung der sicheren Herkunftsstaaten. Länder mit einer Beitrittsperspektive für die EU könnten schließlich nicht gleichzeitig Länder sein, aus denen viele Flüchtlinge kämen.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.