Flucht vor Trauerfeier

Serbiens Premier bei Srebrenica-Gedenken attackiert

  • Thomas Roser, Belgrad
  • Lesedauer: 2 Min.
20 Jahre nach dem Massenmord an über 8000 Muslimen im bosnischen Srebrenica können die Opfer nicht in Frieden ruhen. Steinwürfe gegen Serbiens Premier Vucic überschatteten das Totengedenken.

Über 60 000 Menschen hatten sich zum 20. Jahrestag des Massakers von Srebrenica in die ostbosnische Kleinstadt aufgemacht. Manche Trauergäste wollten dem umstrittenen Gast aus dem nahen Serbien jedoch nichts vergeben - und vergessen. Ein überdimensioniertes Spanntuch konfrontierte Serbiens Premier Aleksander Vucic schon bei seinem schweren Gang auf den Gedenkfriedhof von Potocari mit einem 20 Jahre alten Zitat. »Für jeden toten Serben werden wir 100 Muslime töten«, hatte der damals 24 Jahre alte Vucic kurz nach dem Massaker in der bosnischen Muslim-Enklave im Juli 1995 in Serbiens Parlament erklärt.

Erst ertönten Pfiffe und wüste Rufe »Tötet ihn!«, als der mittlerweile vom Ultranationalisten zum Pro-Europäer mutierte Vucic vor dem Gedenkstein für die 8732 Opfer des Massenmords einen Kranz niederlegte. Dann flogen Schuhe, Wasserflaschen - und Steine. Einer traf Serbiens Premier am Kopf. Nur mit Mühe konnten seine Leibwächter ihn vor dem wütenden Mob in Sicherheit bringen. »Attentat auf Vucic in Srebrenica!«, titelte am Sonntag das serbische Boulevard-Blatt »Kurir«. »Sie versuchten, Vucic zu töten!«, vermeldete nicht minder aufgebracht die Belgrader Gazette »Alo!«.

Zumindest Vucic selbst bemühte sich, nach seiner überstürzten Flucht von der Trauerfeier kein weiteres Öl ins Feuer der erhitzten Gemüter zu gießen. Er wisse, dass die Mehrheit der muslimischen Bosniaken mit der »organisierten« Attacke auf ihn nichts gemein habe, versicherte der Regierungschef. »Jede Nation hat ihre Idioten, wir haben an ihnen auch keinen Mangel. Unsere Hand der Versöhnung gegenüber den Bosniaken bleibt ausgestreckt.« Für die Attacken seien keineswegs Anwohner oder Angehörige der Opfer, sondern Hooligans auch aus Serbiens muslimisch besiedeltem Sandzak verantwortlich gewesen, erklärte Srebrenicas Bürgermeister Camil Djurakovic.

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