Flucht vor Trauerfeier
Serbiens Premier bei Srebrenica-Gedenken attackiert
Über 60 000 Menschen hatten sich zum 20. Jahrestag des Massakers von Srebrenica in die ostbosnische Kleinstadt aufgemacht. Manche Trauergäste wollten dem umstrittenen Gast aus dem nahen Serbien jedoch nichts vergeben - und vergessen. Ein überdimensioniertes Spanntuch konfrontierte Serbiens Premier Aleksander Vucic schon bei seinem schweren Gang auf den Gedenkfriedhof von Potocari mit einem 20 Jahre alten Zitat. »Für jeden toten Serben werden wir 100 Muslime töten«, hatte der damals 24 Jahre alte Vucic kurz nach dem Massaker in der bosnischen Muslim-Enklave im Juli 1995 in Serbiens Parlament erklärt.
Erst ertönten Pfiffe und wüste Rufe »Tötet ihn!«, als der mittlerweile vom Ultranationalisten zum Pro-Europäer mutierte Vucic vor dem Gedenkstein für die 8732 Opfer des Massenmords einen Kranz niederlegte. Dann flogen Schuhe, Wasserflaschen - und Steine. Einer traf Serbiens Premier am Kopf. Nur mit Mühe konnten seine Leibwächter ihn vor dem wütenden Mob in Sicherheit bringen. »Attentat auf Vucic in Srebrenica!«, titelte am Sonntag das serbische Boulevard-Blatt »Kurir«. »Sie versuchten, Vucic zu töten!«, vermeldete nicht minder aufgebracht die Belgrader Gazette »Alo!«.
Zumindest Vucic selbst bemühte sich, nach seiner überstürzten Flucht von der Trauerfeier kein weiteres Öl ins Feuer der erhitzten Gemüter zu gießen. Er wisse, dass die Mehrheit der muslimischen Bosniaken mit der »organisierten« Attacke auf ihn nichts gemein habe, versicherte der Regierungschef. »Jede Nation hat ihre Idioten, wir haben an ihnen auch keinen Mangel. Unsere Hand der Versöhnung gegenüber den Bosniaken bleibt ausgestreckt.« Für die Attacken seien keineswegs Anwohner oder Angehörige der Opfer, sondern Hooligans auch aus Serbiens muslimisch besiedeltem Sandzak verantwortlich gewesen, erklärte Srebrenicas Bürgermeister Camil Djurakovic.
Wir behalten den Überblick!
Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!