Wikileaks-Papiere belegen Ausforschung von Auswärtigem Amt
Minister Steinmeier offenbar systematisch von der NSA abgehört / Generalbundesanwalt Range will nicht ermitteln
Update 15.05 Uhr: Korte (LINKE): Die Regierung hat vor den Geheimdiensten kapituliert
Der stellvertretende Linke-Fraktionschef Jan Korte erklärte zu den neuen Wikileaks-Enthüllungen: »Die ausbleibenden Reaktionen (...) zeigen, dass die große Koalition vor den Geheimdiensten kapituliert hat.« Zwei Dinge würden »immer klarer: Erstens ist der Überwachungswunsch der Geheimdienste total, und zweitens halten Union und SPD dies offenbar für alternativlos.«
Update 12.36 Uhr: Generalbundesanwalt will nicht ermitteln
Wie das Magazin »Focus« in seiner neuen Ausgabe unter Berufung auf Berliner Justizkreise berichtete, will Generalbundesanwalt Harald Range auch nach der Veröffentlichung immer neuer Abhördossiers der NSA keine Ermittlungen gegen den US-Geheimdienst einleiten. Demnach sagte ein Ermittler der Anklagebehörde: »Wir müssen eine Tat belegen können. Allein Zahlenkolonnen und Telefonnummern der Kanzlerin, einiger Minister und Staatssekretäre reichen bei weitem nicht aus.« Man brauche etwa Abhörprotokolle der NSA. »Originale, keine Kopien. Am besten mit den Namen der verantwortlichen Geheimdienst-Offiziere. All das haben wir aber in diesem Fall nicht.«
Wikileaks-Papiere belegen Ausforschung von Auswärtigem Amt
Berlin. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) ist einem Zeitungsbericht zufolge offenbar systematisch vom US-Geheimdienst NSA abgehört worden. Das geht aus neuen Dokumenten der Enthüllungsplattform Wikileaks hervor, die der »Süddeutschen Zeitung« sowie dem Nord- und dem Westdeutschen Rundfunk laut einer Mitteilung vom Montag zugänglich gemacht wurden. Demnach stand auch ein Handy, das die NSA Steinmeier zuordnete, auf der Ausspähliste.
Wikileaks dokumentiere auch ein Abhörprotokoll eines Gesprächs oder Telefonats Steinmeiers vom 29. November 2005, berichtete die »SZ«. Mit wem er damals gesprochen habe, bleibe unklar. Unmittelbar vor einer USA-Reise Steinmeiers hatten Medien über CIA-Entführungsflüge und -Gefängnisse in Europa berichtet. Die Zusammenfassung des Gesprächs erweckt laut »SZ« den Eindruck, dass Steinmeier damals eher zufrieden darüber war, von der US-Seite keine klaren Antworten zu der Angelegenheit erhalten zu haben: »Er schien erleichtert«, heißt es demnach in dem Protokoll.
Die neuen Unterlagen deuten dem Blatt zufolge auf einen jahrelangen Lauschangriff der NSA auf das Auswärtige Amt hin. Auf der Liste stünden insgesamt 20 Nummern - darunter auch mehrere Telefonnummern, welche die NSA Steinmeier zugerechnet habe. Möglicherweise stand auch Ex-Außenminister Joschka Fischer (Grüne) auf der Liste. Dort befindet sich dem Zeitungsbericht zufolge ein Eintrag »Fischer«. Ob es sich um eine alte Nummer Fischers handelte oder ob es um einen Namensvetter im Auswärtigen Amt ging, sei unklar.
In den vergangenen Wochen hatte Wikileaks bereits zahlreiche Spähziele der NSA im Kanzleramt und Bundesministerien veröffentlicht. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele forderte die Bundesregierung und die Geheimdienste nach den neuen Enthüllungen vom Montag auf, dem Parlamentarischen Kontrollgremium zeitnah zu berichten. »Sie müssen sagen, was sie nun tun, um die Spionage aufzuklären und Schaden abzuwenden«, forderte er. Es stelle sich überdies die Frage, ob Steinmeier »2006 tatsächlich nicht auf der Beantwortung von Fragen nach US-Rendition-Flügen über Deutschland bestanden« habe.
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