Antiegalitär und aktionistisch
Rassistisch, neoliberal und stylisch - die Identitäre Bewegung übt eine große Anziehungskraft auf Jugendliche aus
Gegenwärtig machen sie bevorzugt gegen Flüchtlinge mobil. »Stoppt den großen Austausch: Geburtenrückgang. Masseneinwanderung«, war auf einem Transparent zu lesen, das Anhänger der Identitären Bewegung (IB) kürzlich bei ihrer symbolischen Besetzung der SPD-Parteizentrale in Berlin entrollten. Gleichzeitig war ein ähnliches Szenario im Kurt-Schumacher-Haus in Hamburg zu beobachten. Immer häufiger macht diese neurechte Gruppierung in Deutschland mit medienwirksamen Aktionen auf sich aufmerksam.
Die Proteste verlaufen stets gewaltfrei. Die Identitären wollen als verfassungstreue Patrioten wahrgenommen werden und agieren in der Öffentlichkeit nach dem Vorbild der linken Spaßguerillas und Aktivisten des zivilen Ungehorsams. Sie organisieren Flashmobs gegen Supermärkte, die Halal-Lebensmittel für Muslime anbieten, und tanzen mit Schweine- oder Guy-Fawkes-Masken zu Hardcore-Techno-Musik - für die Rekrutierung der Jugend werden alle Register des aktuellen Livestyle, der Sub- und »Kontrakultur«, wie es im neurechten Jargon heißt, gezogen.
Struktur, politische Matrix und Design der Identitären wurden bereits 2002 in Frankreich unter dem Namen Bloc Identitaire geschaffen, der seit 2009 auch als Partei zu Wahlen antritt und mit spektakulären Aktionen auf sich aufmerksam macht. Beispielsweise enterten vor rund zwei Jahren Mitglieder der Génération Identitaires, seiner Jugendorganisation, das Parteigebäude der Sozialisten und forderten den Rücktritt von Präsident Hollande.
In Deutschland und Österreich traten die Identitären erstmals 2012 in Erscheinung: In Wien stürmten Maskierte einen Caritas-Workshop für ein friedliches Zusammenleben der Kulturen mit einer ohrenbetäubenden »Hardbass-Mass-Attack«. Dabei trugen sie Schilder mit der Aufschrift »Multikulti wegbassen!«. Wenige Wochen später störte eine kleine Gruppe Identitärer auf ähnliche Weise die Eröffnungsveranstaltung der Interkulturellen Wochen in Frankfurt am Main.
Rund 50 Ortsgruppen gibt es mittlerweile in Deutschland; nicht wenige davon dürften allerdings bislang nicht mehr als eine virtuelle Existenz in Form eines Facebook-Accounts erlangt haben. Experten gehen derzeit von nur wenigen hundert aktiven Identitären bundesweit aus.
Ihr ideologischer Mentor ist der französische Philosoph Alain de Benoist, der 1968 als Antithese zu der marxistisch geprägten Studentenbewegung eine Gruppe rechter Intellektueller ins Leben gerufen hatte. Strategisch folgte de Benoist zentralen Thesen des italienischen Kommunisten Antonio Gramsci: Für die Durchsetzung einer neuen Weltanschauung bedürfte es der Erlangung einer »kulturellen Hegemonie«.
De Benoist versuchte, eine »Kulturrevolution von rechts« in Gang zu setzen. Mit einigem Erfolg. So sind in den vergangenen Jahrzehnten europaweit ästhetisch ansprechende Publikationen, wie die Zeitschriften »Sezession« und »Blaue Narzisse«, entstanden. Mit dem im Jahr 2000 aus dem Kreis der Deutschen Gildenschaft, einem Korporationsverband, gegründeten Institut für Staatspolitik verfügen die Identitären und ihre Gesinnungsfreunde über eine Denkfabrik für den gehobenen neurechten und salonfaschistischen Diskurs.
Die IB ist eifrig bemüht, sich als frei von den historischen Verantwortungslasten des NS-Terrors darzustellen. Wie die meisten rechten Strömungen, die unter den Vorzeichen des Neoliberalismus entstanden sind, präsentiert sie sich als Verfechter der Totalitarismustheorie und anschlussfähig an die zu allen »Extremisten« scheinbar äquidistante »bürgerliche Mitte«. »Nicht links, nicht rechts: identitär!«, lautet ihre Version einer der Kernthesen Friedrich August von Hayeks und anderer Architekten neoliberaler Ideologie.
»Nicht selten verwandelt sich der faschistische Nationalismus in einen gesamteuropäischen Chauvinismus.« Die nach Auschwitz nicht mehr rehabilitierbare Kategorie »Rasse« werde weitgehend durch die Kategorie »Kultur« abgelöst, hatte der Soziologe Theodor W. Adorno bereits 1955 eine neue Entwicklung prognostiziert - und sollte Recht behalten: Identitäre und andere moderne Rechte propagieren einen »Ethnopluralismus«, der nicht mehr eine Minderwertigkeit aller Fremden, sondern deren Andersartigkeit betont und vorgibt, diese zu akzeptieren. Gleichzeitig wird die »aufgezwungene Vermischung« bekämpft, der Vorrang des eigenen Kollektivs und dessen Kultur behauptet und die Forderung nach »Verteidigung« des eigenen Territoriums gegen die »unzivilisierten Eindringlinge« legitimiert.
Je rücksichtsloser die Agenda, desto larmoyanter die Selbstdarstellung und hemmungsloser das Pathos: »In den identitären Widerstandsnestern weht der lebendige Geist Europas«, heißt es im Manifest der IB. Konsequenterweise werden für die Inszenierung ihres Opfermythos’ antike Vorbilder bemüht, die ihre Heimat mit dem Rücken zur Wand verteidigt haben: Die Schilde der spartanischen Hopliten mit einem großen Lambda symbolisieren den heroischen Untergang von König Leonidas und seinen Getreuen in der Schlacht gegen die Barbarenheere des Perserkönigs Xerxes im Jahr 480 v. Chr. - seit Veröffentlichung des Comicfilms »300« ein Faszinosum der neurechten Szene. Der archaische Schlachtruf der spartanischen Krieger ist immer wieder auf den Pegida-Demonstrationen zu hören. IB-Aktivisten marschieren regelmäßig mit und posieren als Kulturkämpfer-Avantgarde, die eine schützende Phalanx vor dem vermeintlich bedrohten Abendland bildet.
Entsprechend kleidet sich der meist aus dem (privilegierten) Mittelstand stammende Identitäre beim bewegungseigenen Internetmodeversand »Phalanx Europa« ein. Dort sind T-Shirts mit dem Konterfei des »Feuer-und-Blut«-Schriftstellers Ernst Jünger, unter dem »Elite« zu lesen ist, ebenso zu haben wie Kapuzenpullover mit der zynischen Aufschrift »Lampedusa Coastguard 2.0« und Buttons, deren Slogan die radikal sozialchauvinistische DNA der Identitären offenbart: »Let’s Fight Gleichheit!«
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