Diesen Wert erreichten nur Doper
Der Mathematiker Pierre Sallet sorgt mit seinen Berechnungen für Ärger bei der Tour de France
Sie arbeiten für die Initiative »Sportler für Transparenz«. Was ist das Ziel Ihrer Arbeit?
Wir haben die Assoziation vor mehr als zehn Jahren gegründet. Die Idee war, den sauberen Athleten zu helfen. Welche Möglichkeiten haben sie, zu zeigen, dass sie sauber sind? Wir sind dann darauf gekommen, dass dies nur mit Leistungsmessungen, sowie physiologischen, Blut- und Geo-Daten möglich ist. Wir haben zwei Jahre an dem System gearbeitet und dabei mit Radsportlern, Leichtathleten, Fußballern und vielen anderen Sportlern gearbeitet.
Meinen Sie, wer sauber ist, kann unbesorgt alle Daten auf den Tisch legen. Und wer das nicht tut, hat etwas zu verbergen?
Ja, die Idee ist maximale Transparenz. Wenn du beweisen willst, dass du sauber bist, kannst du dies nur machen, wenn du alle Daten auf den Tisch legst und nicht einen Monat nach dem Wettkampf nur eine einzige Untersuchung machst.
In der Debatte um seine Leistungen ist der britische Radprofi Chris Froome in die Offensive gegangen. Sein Teamchef Dave Brailsford präsentierte zusammen am zweiten Ruhetag der Tour de France eigene Daten zu Froomes Aufsehen erregender Pyrenäen-Klettershow nach La Pierre-Saint-Martin. Demnach soll der 30-Jährige dort einen durchschnittlichen Wert von 5,78 Watt pro Kilogramm erreicht haben – weit entfernt von den über sieben Watt, die Pierre Sallet mathematisch errechnet hatte (siehe Interview).
Das Team Sky ging noch weiter ins Detail: Froome habe eine maximale Herzfrequenz von 174 Pulsschlägen erreicht, sei nur 67,5 anstatt 71 Kilogramm schwer und habe zudem lediglich 414 Watt erreicht anstatt die von Sallet angegebenen 425. »Wenn falsche Daten öffentlich diskutiert werden, dann müssen wir das klarstellen«, sagte Brailsford.
Schon in den Tagen zuvor war Froome den Unterstellungen entgegengetreten und hatte deren Niveau als »befremdlich« eingestuft. SID/nd
Sie sprechen die Idee des Teams Sky an, dass sich der gerade führende Chris Froome nach der Tour de France einer Untersuchung stellt. Sie haben nun schon aktuelle Wettkampfdaten Froomes analysiert. Wie sind Sie dabei vorgegangen?
Wissenschaftlich mit mathematischen Modellen. Das war gar nicht so schwer, es handelte sich ja nur um 10 bis 15 Parameter. Das ist für Mathematiker recht wenig. Die Fehlerwahrscheinlichkeit liegt bei etwa zwei Prozent, ist also relativ gering. Trotzdem werden wir häufig kritisiert. Da sagen Leute, dass wir ja nur Modelle anwenden würden. Dabei nutzen dieselben Leute SRM-Geräte, um Wattdaten ihrer Profis im Rennen zu ermitteln. Diese Geräte operieren aber mit denselben mathematischen Modellen. Stellen wir nun abnormale Leistungen fest, machen die zwei Prozent Fehlerwahrscheinlichkeit von nicht mehr viel aus. Wir wählen ohnehin Einstellungen, die für den Athleten günstig sind. Wenn wir also 7,04 Watt Leistung pro Kilogramm Körpergewicht für Chris Froome errechnet haben, bedeutet das, dass er vielleicht sogar noch mehr erbracht hat.
Wie ordnen sich diesen Wert in bisherige Leistungen von Sportlern ein?
Es ist ein abnormer Wert. In der Literatur gibt es nur Beispiele von gedopten Sportlern, die ihn erreichten.
Das heißt, auch Chris Froome hat gedopt - mit Medikamenten oder mit Elektromotor, wie ihm dies französische Fernsehkommentatoren bereits unterstellt haben?
Das muss es nicht heißen. Wir müssen auch andere Daten nutzen, wie die Herzfrequenz, die maximale Aufnahmefähigkeit des Blutes für Sauerstoff, die Geodaten der Strecken, auf denen jene Leistungen erzielte, auch die Einnahme von erlaubten Medikamenten, die die Leistung beeinflussen können. Erst dann kann man feststellen, wie solche Leistungen zustande kommen. Wir hatten auch schon Athleten, die abnormale Profile aufwiesen. Das lag dann an einer besonderen individuellen Konstitution. Manchmal sehen wir: Oh, dieser Athlet ist ganz anders als all die anderen, die bisher zu uns gekommen sind.
Wollen Chris Froome und sein Team Sky denn zu Ihnen kommen?
Wir wurden bislang nicht angefragt.
Sie haben im Mai ein anderes Experiment durchgeführt: Sie gaben Sportlern Mikrodosen von Epo und Wachstumshormon. Was war die Idee dahinter?
Das war wie ein Crashtest für ein Auto. Um es sicher zu machen, fährt man es erst mal gegen die Wand. Wir haben Athleten nicht mit dem Ziel gedopt, ihre Leistungen zu verbessern, sondern um die Wirksamkeit der Dopingkontrollen und der Monitoring-Programme zu überprüfen. Um die Effekte auf die Leistungen zu testen, muss man mit Sportlern arbeiten. Medikamententests in der medizinischen Erprobung ermitteln nur die Auswirkung auf den Körper, nicht die auf die erbrachten Leistungen. Unser Ergebnis war: Es hat eine Auswirkung auf die Leistungen.
Wie hoch war die Steigerung?
Sie lag bei 3 Prozent. Das ist bei einem Zeitfahren oder einer Bergetappe enorm viel. Und man muss sagen, es handelte sich nur um Mikrodosen mit wenigen Medikamenten. Man kann mehr nehmen.
Nun testeten Sie nur Amateursportler, keine Elite-Athleten. Kann man die Ergebnisse denn einfach so übertragen?
Bei Profisportlern sind die Effekte möglicherweise noch höher. Aber es geht nicht darum, ob zwei, drei oder fünf Prozent Leistungssteigerung möglich sind. In der Literatur ist kein Beispiel bekannt, bei dem Epo nicht die Leistung steigert. Wir wollten die Effekte von Mikrodosen auf die Antidopinginstrumente untersuchen. Und wir mussten feststellen, dass man durch diese Art von Doping die Beschränkungen des Blutpasses umgehen kann.
Sportler können also unerkannt dopen. Wie sollten nun die Testverfahren verbessert werden?
Der individuelle biologische Pass ist an sich ein gutes Instrument. Doch die Daten daraus werden nur mit einem mathematischen Modell ausgewertet. Das findet einige Arten von Doping mit Mikrodosen, andere nicht. Es gibt aber weitere Berechnungsmethoden, die anzeigen, wenn etwas unnormal ist. Das aktuelle Berechnungsverfahren ist mittlerweile bekannt und die Doper haben sich angepasst. Nun müssen wir uns wieder anpassen und neue Modelle anwenden.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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