»Die kalte Dusche des Schlichterspruchs«
Bei ver.di endet bald die Mitgliederbefragung zum Verhandlungsergebnis für den Sozial- und Erziehungsdienst
Das Schlichtungspapier zwischen der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und der Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) war im Juni nach Ende eines vierwöchigen Streiks ausgehandelt und bei einer bundesweiten Streikdelegiertenkonferenz Ende Juni überwiegend als »unannehmbar« angesehen worden. Seitdem wird die ver.di-Basis gefragt, ob sie den Schlichterspruch für die rund 240 000 Beschäftigten im kommunalen Sozial- und Erziehungsdienst annehmen oder ablehnen will - und damit wieder in Verhandlungen und potenziell einen neuen Streik geht. Bis Anfang August läuft die Abstimmung. Im Falle einer Ablehnung könnten Mitte August neue Tarifverhandlungen zwischen ver.di und der VKA beginnen.
Da keine repräsentativen Umfragen vorliegen, wagen viele Gewerkschafter in diesen Tagen keine Prognosen über den Ausgang der Mitgliederbefragung. Zwar war bei der jüngsten Streikdelegiertenversammlung nach Teilnehmerangaben »die Wut riesengroß« und hatten ver.di-Chef Frank Bsirske und andere federführende Hauptamtliche alle Hände voll zu tun, um mit der Aussicht auf die Mitgliederbefragung den Delegierten entgegen zu kommen und die Wogen etwas zu glätten. Ob sich diese Stimmung im Saal allerdings eins zu eins auf das Abstimmungsverhalten der Masse der Mitglieder zwischen Konstanz und Stralsund, Aachen und Zittau übertragen lässt, bleibt abzuwarten. »Ihr müsst Euch gut überlegen, ob es ratsam ist, das Schlichtungsergebnis abzulehnen und damit Null auf Null dazustehen und alles wieder von vorne zu beginnen.« So und ähnlich argumentieren in diesen Tagen viele an der ver.di-Spitze. Ihr Argument: Die anfangs positive und solidarische Stimmung sei vor allem bei den vom Streik in den Kitas betroffenen Eltern und in der Öffentlichkeit gekippt, ein Wiederaufrollen des Streiks daher ein schwieriges Unterfangen.
Dabei sind auch die Einschätzungen von Hauptamtlichen unterschiedlich. Während einige das Schlichtungspapier unumwunden als Niederlage bezeichnen, beharren andere auf dem Standpunkt »Mehr war nicht drin« und wecken Hoffnung, in anstehenden Redaktionsverhandlungen zwischen den Tarifpartnern noch einige Verbesserungen zu Gunsten der Beschäftigten zu erzielen.
Manche Insider befürchten, dass die Stimmung in der Sommerpause sogar kippen könnte. Denn dann sind auch viele der im Frühjahr bestreikten Einrichtungen geschlossen und ist jedes Mitglied mit Zweifeln und Frust alleine auf sich gestellt. »Manche erwarten im Osten und Norden mehr Ja-Stimmen und im Westen und Süden mehr Nein-Stimmen«, sagt uns eine Sozialpädagogin bei einer städtischen Einrichtung in Wiesbaden, die engagiert mit gestreikt hatte. In ihrem Umfeld wollten die meisten Mitglieder mit Nein stimmen. Das Ergebnis sei »nicht akzeptabel«. Die Berufsgruppe der SozialarbeiterInnen und SozialpädagogInnen gehe faktisch leer aus. »Die zwei Euro fünfzig kann ich mir schenken, dafür haben wir nicht vier Wochen gestreikt«, so die Gewerkschaftsaktivistin, die befürchtet, dass manche, die im Vorfeld des Streiks hochmotiviert eingetreten waren, nun der Gewerkschaft wieder den Rücken kehren könnten. »Wir haben unsere Tariftabellen mal Busfahrern der städtischen Verkehrsbetriebe und Metallern vorgelegt. Besonders die Metaller waren schockiert, wie wenig wir verdienen. Sie sind der Meinung, dass Sozialpädagogen mit ihrer Ausbildung und Verantwortung Anspruch auf das Einkommen eines Ingenieurs hätten«, so die Gewerkschafterin.
»Ich fühle mich durch das Ergebnis in keiner Weise repräsentiert. Der Kampfeswille war ungebrochen«, sagt Herbert Cartus, der sich professionell um Kinder und Jugendliche kümmert. Nach vier Wochen Streik sei das Schlichtungsergebnis »recht bescheiden und die Enttäuschung riesengroß«. Es könne durchaus sein, »dass doppelt so viele wieder austreten wie vor dem Streik eingetreten sind«; befürchtet er. Dabei hätten »speziell die Jüngeren noch viel mehr Grund, auf die Straße zu gehen als wir alten Hasen« Sein Kollege Ottmar Schick teilt die Einschätzung, dass das Schlichtungsergebnis »ver.di nicht gut tun wird«. Bsirske habe bei Streikkundgebungen in Gießen und Frankfurt hohe Erwartungen geweckt und diese nicht eingehalten. »Das war eine tolle Zeit und starke Bewegung mit großer Solidarität und Zusammenhalt und der Hoffnung, dass der Funke überspringt. In den Gesichtern stand die Erwartung geschrieben, dass sich etwas bewegt«; denkt Schick an ein bewegtes Frühjahr zurück. »Und dann kam die kalte Dusche des Schlichterspruchs.«
»In den Einrichtungen der Behindertenhilfe in Baden-Württemberg stehen die Zeichen auf mehrheitliche Ablehnung«, so ein Insider auf nd-Anfrage. Viele seien der Ansicht, es sei besser, gar nichts zu unterschreiben und das Thema im Zusammenhang mit der Tarifrunde 2016 wieder auf die Tagesordnung zu setzen.
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