Die schwierige Suche nach Toleranz

RB Leipzig veranstaltet in Halle ein Trainingscamp für Kinder und Jugendliche - die Fanszene des Halleschen FC protestiert

  • Max Zeising
  • Lesedauer: 5 Min.

Mit der »Mitteldeutschen Fußballwoche für Toleranz« setzt Halle ein notwendiges Zeichen gegen Rassismus. Denn: Auch die Proteste gegen RB Leipzigs Fußballcamp kommen teilweise aus der rechten Ecke.

Von Max Zeising, Halle (Saale)

Die zahlreichen Sticker auf den Laternenmasten vor der Kicker-Arena in Halle-Neustadt zeugen vom Unmut, der in der Fanszene des Halleschen FC derzeit zu spüren ist. »Stoppt Red Bull. Im Namen des Fußballs« steht auf den Aufklebern, die sich gegen RasenBallsport Leipzig richten und die kommerzielle Ausrichtung des Emporkömmlings kritisieren: »100 Prozent Werbung. 0 Prozent Fußball.« Dass diese Sticker in den letzten Tagen so zahlreich vor der Kicker-Arena angebracht wurden, hat einen Grund. Denn dort, am Stadtrand von Halle, veranstaltet der Leipziger Zweitligist zurzeit ein Trainingscamp für den Fußball-Nachwuchs. 53 Kinder und Jugendliche kicken fünf Tage lang unter RB-Leitung. Die Teilnahme kostet 99 Euro. »Die Kinder sollen in erster Linie Spaß haben«, sagt Mario Beyer, der für das Camp verantwortlich ist.

Für RB ist das Ganze jedoch mehr als nur ein Freizeitkick. »Es ist eine Imageveranstaltung. Wir wollen das Konzept von RB Leipzig in die breite Öffentlichkeit tragen«, so Beyer. Zudem gehe es um Scouting: »Wir veranstalten solche Camps auch in anderen Städten. Jedes Mal notieren wir uns die zwei, drei besten Spieler.« Der Verein, der sich zum Ziel setzt, nach langer Zeit wieder einen ostdeutschen Erstligisten zu stellen, sucht Rückhalt in der Bevölkerung und will gleichzeitig die besten Nachwuchsspieler aus der Region verpflichten. Anderswo war es nach Aussage von Mario Beyer nie ein Problem, ein solches Camp zu veranstalten. In Halle jedoch kam es frühzeitig zu heftigen Diskussionen. Ursprünglich war der Platz des Amateurvereins Motor Halle als Austragungsort geplant. Doch Protest regte sich. Im Internet wurde gedroht, das Vereinsgelände zu zerstören. Auch Drohungen gegen Personen soll es gegeben haben. Also sagte Motor das Camp zunächst ab.

Dann schaltete sich Oberbürgermeister Bernd Wiegand (parteilos) ein und rief die »Mitteldeutsche Fußballwoche für Toleranz« ins Leben, die gerade in Halle stattfindet und im Rahmen dieser nun auch das RB-Camp durchgeführt wird. »Es gab massive Bedrohungen. Deshalb sahen wir uns als Stadt in der Pflicht, dagegenzuhalten. Wir wollen uns für ein tolerantes Halle einzusetzen«, sagt Wiegand.

So gibt es im Rahmen der Toleranz-Woche neben dem RB-Trainingscamp zahlreiche weitere Veranstaltungen wie Nachwuchsturniere auch im Stadion des Halleschen FC und einen Vortrag des Landes- und Stadtsportbundes zu dem Projekt »Menschlichkeit und Toleranz im Sport«. Damit sollen die demokratischen Strukturen des Sports gestärkt und extremistischen Tendenzen entgegengewirkt werden. Denn: »Es gibt Schnittmengen zwischen den Personen, die die Drohungen gegen das Camp verübten, und solchen, die rechtsextreme Einstellungen aufweisen«, weiß Bernd Wiegand.

Tatsächlich kommt der Protest gegen RB teilweise aus der rechten Ecke. So startete HFC-Fan Ralf Krizsovensky im Frühjahr eine Online-Petition, um das Trainingscamp zu verhindern. »Wir stehen für Tradition, Geschichtsbewusstsein und Liebe zum Fußball und zum HFC und sehen diese Werte mit der Ausführung einer solchen Veranstaltung gefährdet«, hieß es darin. Bei Facebook präsentiert sich Krizsovensky derweil als Anhänger von NPD und Pegida. Auch die »Saalefront« macht regelmäßig mobil gegen RB. Zuletzt hatte die Ultragruppierung des HFC gegen die Verpflichtung des ehemaligen RB-Spielers Fabian Bredlow gewettert. »Wir werden keine Spieler akzeptieren, die ihrerseits dazu beigetragen haben, dass das ›System RB‹ überhaupt erst funktioniert«, ist auf der Homepage der »Saalefront« zu lesen. Verbunden mit der deutlichen Aufforderung: »Bredlow verpiss dich!«

Gleichzeitig geraten die Ultras selbst immer wieder in den Verdacht, rechtsextrem zu sein. Ein Beispiel aus der vergangenen Saison: Im Herbst des vergangenen Jahres gab es im HFC-Stadion beim Spiel gegen Dresden Sprechchöre gegen Dynamos Torhüter Benjamin Kirsten. Zahlreiche Halle-Fans skandierten: »Kirsten, du Zigeuner!«. Laut einer Antifainitiative soll die »Saalefront« für die Schmährufe verantwortlich gewesen sein.

Allerdings würde es zu kurz greifen, Proteste gegen RB allein unter Nazis zu vermuten. Der gesamte Fankurvenrat des HFC, in dem zurzeit 31 Fanklubs organisiert sind, stellt sich gegen das Nachwuchscamp. »RB Leipzig steht in unseren Augen für eine radikale Veränderung des deutschen Fußballs, welche wir deutlich ablehnen«, heißt es auf der Homepage des Fankurvenrats. Und weiter: »Undemokratisch geführte Vereine, welche allein aus Marketingzwecken existieren und bei ihrem Aufstieg unzählige Millionen verbrennen, haben nichts mehr mit dem Fußball zu tun, mit dem wir uns identifizieren.«

Die RB-Verantwortlichen interessieren sich nicht für diese Kritik. Sie sind überzeugt von einer »stetig wachsenden Akzeptanz in der Bevölkerung«, was man an den »steigenden Zuschauerzahlen« merke, so Pressesprecher Benjamin Ippoliti. Durchschnittlich 25 000 Besucher kamen in der vergangenen Saison zu den Heimspielen in die eigene Arena - vierthöchster Wert in der 2. Liga. Weiterhin müsse sich der Verein nicht ständig für den eigenen Weg rechtfertigen: »Wir vertreten Werte wie Offenheit und Toleranz und sind ein familienfreundlicher Klub.« Deshalb findet Ippoliti auch die Woche für Toleranz super.

Auf jeden Fall ist eine solche Woche allein dadurch notwendig, weil die Saalestadt zunehmend Probleme mit Neonazis hat. Nicht nur das Auftreten der rechtsextremen Vereinigung »Brigade Halle« und die zahlreichen Angriffe auf Sinti und Roma im Stadtteil Silberhöhe sprechen dafür. Auch HFC-Spieler Osayamen Osawe wurde vergangene Woche Opfer einer rechten Straftat. Osawes Auto wurde mit einem Hakenkreuz sowie der Zahl »88« - die für »Heil Hitler« steht - versehen. Der HFC reagierte umgehend. »Das ist eine unerträgliche und verabscheuungswürdige Tat. Osawe wurde zielgerichtet herausgesucht. Wir sind ein toleranter und weltoffener Verein und werden das aufarbeiten«, äußerte sich HFC-Präsident Michael Schädlich zu dieser rassistischen Entgleisung. »Rassismus darf nicht akzeptiert werden«, fügte Osawe hinzu.

Auch bei dem lokalen Verein Motor Halle, auf dessen Platz ursprünglich das RB-Nachwuchscamp stattfinden sollte und der nun bei den Nachwuchsturnieren im Rahmen der Toleranz-Woche mitwirkt, soll es in der Vergangenheit rassistische Ausfälle gegeben haben. In einer Partie gegen Roter Stern Halle vor eineinhalb Jahren soll ein Motor-Spieler den Hitlergruß gezeigt haben. Das Verfahren wurde jedoch eingestellt.

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