»Die Fantasie meiner Verleumder«
Berichte über angeblichen »Grexit-Hack« und »Drachme-Putsch« sorgen für Schlagzeilen / Varoufakis: Man will mich als Schurken präsentieren / Lafazanis spricht von Mischung aus »Lügen, Fantasie, Angstmache«
Dieser Dreh würde einigen gut ins Bild passen: Nachdem das Gebaren der Gläubiger gegen die griechische Regierung von vielen Seiten als eine Art Staatsstreich kritisiert wurde, tauchen nun Geschichten von angeblichen Putschplänen innerhalb von SYRIZA auf - gegen den Euro. Sind also doch die Linken die Schurken?
Zwei Medienberichte liegen dieser neuesten Wendung im Streit um die europäische Krisenpolitik zugrunde - einer davon erschien in der konservativen Athener Zeitung »Kathimerini«. Das Blatt hat Auszüge aus einem Mitschnitt einer Telefonkonferenz veröffentlicht, aus denen hervorgehen soll, dass der frühere Finanzminister Yanis Varoufakis konkrete Pläne für ein Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro verfolgt habe. Eine Quelle für die Aufnahme wird nicht genannt, aber Schlagzeilen macht die Veröffentlichung auch so.
Das Gespräch fand am 16. Juli statt. Varoufakis soll darin Vertretern von Hedgefonds erklärt haben, wie er bereits im Dezember 2014 für einen Grexit vorgeplant habe – unter anderem so: Mit Unterstützung eines befreundeten Computerexperten wollte man sich in die oberste Steuerbehörde hacken, um für ein paralleles Banken- und Bezahlsystem vorbereitet zu sein. Dies sei auch gelungen, zumindest was die Ebene der Hardware anging. Das Ganze sei streng geheim gewesen, auch habe Varoufakis dafür nicht den Segen von Premier Alexis Tsipras gehabt. Von einem parallelen Zahlungssystem war in dem Gespräch die Rede, »das die Wirtschaft für eine Weile am Laufen hält«, im Zentrum sollten Internetplattformen stehen. Man habe überlegt, »heimlich Reservekonten für jede Steuernummer zu schaffen, um ein funktionierendes System in der Hinterhand zu haben«, so Varoufakis - jedenfalls laut der Veröffentlichung in »Kathimerini«.
Varoufakis hat sich inzwischen zu dem Bericht geäußert. Auf Twitter kommentierte der Ökonom den Vorwurf sarkastisch: »Also ich hatte vor, die Steuerdaten der griechischen Bürger zu hacken? Ich bin beeindruckt von der Fantasie meiner Verleumder.« Gegenüber der britischen Zeitung »Telegraph« sagte er, die genannten Zitate seien zwar korrekt, die Berichte würden deren Sinn aber verdrehen. Er habe immer vor der Demontage des Euro gewarnt, es sei nie sein Ziel gewesen, zur Drachme zurückzukehren. Die Veröffentlichung diene dazu, ihn als Schurken zu präsentieren. Varoufakis sprach von einem Versuch, »die ersten fünf Monate dieser Regierung für nichtig zu erklären und sie in den Mülleimer der Geschichte zu werfen«.
Noch eine Umdrehung weiter geht ein Bericht des deutschen »Handelsblattes«, in dem behauptet wird, Griechenland habe »kurz vor einem Putsch« gestanden. »Das Ziel des Staatsstreichs, den führende Mitglieder der Regierungspartei SYRIZA planten: die Rückkehr zur Drachme«, so formuliert es jene Wirtschaftszeitung, die zuletzt Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble als »Kanzler der Vernunft« auf dem Titel hatte. Also den CDU-Politiker, der am vehementesten für einen vorübergehenden Grexit Griechenlands plädiert hatte - und dies im Prinzip immer noch tut.
Was da als Staatsstreich bezeichnet wird, soll am 14. Juli in Athen von Vertretern der SYRIZA-Linken besprochen worden sein - und zwar kurz nach dem Eurogipfel, auf dem Premier Alexis Tsipras die umstrittene Vereinbarung mit den Gläubigern akzeptierte. »Besetzung der staatlichen Münzanstalt, Konfiszierung der in Griechenland gelagerten Bargeldbestände der EZB, Verstaatlichung der griechischen Notenbank, Absetzung und Verhaftung ihres vom Parlament gewählten Gouverneurs – was Lafazanis plante, war ein Putsch«, schreibt das »Handelsblatt«.
Der frühere Energieminister, der zu den Führungsfiguren der Linken Plattform innerhalb von SYRIZA zählt, hat die Vorwürfe inzwischen zurückgewiesen - als eine Mischung aus »Lügen, Fantasie, Angstmache, Spekulation und Antikommunismus«. In einem Interview sagte er, so berichtet es »Spiegel online«, man habe sich selbstverständlich vorbereiten wollen, wenn Griechenland aus dem Euro gedrängt worden wäre. Das war in den Tagen vor dem Euro-Gipfel in Brüssel am 12. Juli ein durchaus wahrscheinliches Szenario, zumal eines, das in Berlin Anhänger hatte.
Lafazanis sagt, in einem solchen Fall wäre es auch denkbar gewesen, Geld der Zentralbank für die Auszahlung von Renten zu nutzen. Die Behauptung allerdings, man habe den Chef der griechischen Notenbank, Yannis Stouranaras, festnehmen wollen, sei ein Hirngespinst.
Dass auf dem linken SYRIZA-Flügel durchaus die Option eines Ausscheidens Griechenlands aus dem Euro vertreten wird, ist kein Geheimnis. Dass sich der linke SYRIZA-Flügel unmittelbar nach dem Euro-Gipfel über das weitere Vorgehen beriet, dürfte ebenfalls nicht überraschen.
In der »Bild«-Zeitung, die den angeblichen »Grexit-Hack« von Varoufakis und den angeblichen »Drachme-Putsch« der SYRIZA-Linken miteinander vermengt, wird daraus eine »Revolte gegen den Euro« - geplant »im Athener Mittelklasse-Hotel Oscar« vom »ultra-linken Teil der SYRIZA-Führung«, die vom Springer-Blatt als »der sogenannte Moskau-Flügel« bezeichnet wird. Und: »Ausgearbeitet hatte den Grexit-Plan Varoufakis selbst.«
Das Boulevard-Blatt, das seit Monaten Stimmung gegen die SYRIZA-geführte Regierung macht und immer wieder die Plattform derer war, die ein Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro befürworteten, gibt denn auch gleich die Linie vor, auf der das Ganze verstanden werden soll: »Wenn das stimmt, dann waren die monatelangen Verhandlungen mit den Gläubigern in Brüssel nur ein Trick, um Zeit und Geld zu gewinnen«, schreibt das Blatt. Die Schlussfolgerung daraus wäre dann naheliegend: Die Politik soll Athen in den bald startenden Verhandlungen über ein neues Kreditprogramm nicht weiter entgegenkommen – weil »die Griechen« ja nur tricksen.
Angereichert wird die Geschichte bei »Bild« noch mit einer angeblichen Russland-Verbindung (vielleicht, weil das so gut zum Label »Moskau-Flügel« für die SYRIZA-Linken passt). Behauptet wird, unter anderem unter Berufung auf Informationen »aus westlichen Geheimdienstkreisen«, dass der angebliche Plan zur Drachme-Rückkehr mit der Administration in Moskau abgesprochen war - so soll die russische Regierung Athen »etwa 14 Milliarden Euro« zugesagt haben.
Gemessen an den Schulden Griechenlands und dem finanziellen Bedarf der Regierung wäre das nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Und die russische Regierung hatte in den vergangenen Monaten stets betont, dass es weder Anfragen aus Athen für finanzielle Unterstützung gegeben habe noch entsprechende Zusagen.
Für die »Bild«-Zeitung wird das am Ende sogar zum Beleg. In der Nacht des Referendums Anfang Juli, als sich eine deutliche Mehrheit der Griechen gegen die Politik der Gläubiger ausgesprochen hat, soll der Kreml seine Zusage über Finanzhilfen zurückgezogen haben. Damit sei der »Grexit-Plan« gescheitert. Warum ausgerechnet nach dem Referendum, das nicht zuletzt von deutschen Politikern als Entscheidung über den Verbleib Griechenlands im Euro stilisiert worden war? Das schreibt die Zeitung nicht.
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