NATO beschwichtigt: Türkei kein Bündnisfall
Tagung in Brüssel über Konflikt mit IS und Kurden auf Antrag Ankaras / LINKE fordert Abzug der Patriots
Das Wort »Bündnisfall« geriet vor der NATO-Tagung an diesem Dienstag zunehmend in die politische Debatte um das türkische Vorgehen gegen die islamistische Terrormiliz und von Kurden gehaltene Stellungen. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg beschwichtigte. Er rechne nicht mit einer Bitte um groß angelegte Unterstützung, sagte er der BBC. Die Bundesregierung ließ einen Sprecher beteuern: »Der Bündnisfall ist weit weg.« Aus dem Außenamt hieß es abwartend, man werde bei der NATO-Sondersitzung sehen, was Ankara erwarte. Die Linkspartei forderte angesichts des militärischen Vorgehens der Türken gegen Kurden allerdings den sofortigen Abzug deutscher Patriot-Raketen aus der Türkei.
Die Botschafter der 28 NATO-Mitgliedsstaaten kommen auf Antrag der Türkei am Vormittag in Brüssel zusammen. Ankara macht den Artikel 4 des NATO-Vertrages zum Thema. Dieser sieht Beratungen vor, wenn ein NATO-Mitglied die Unversehrtheit seines Territoriums, die politische Unabhängigkeit oder die eigene Sicherheit bedroht sieht. Artikel 5 als Bündnisfall sieht einen NATO-Einsatz vor, wenn ein Mitgliedsstaat angegriffen wird.
Im Kampf gegen den IS planen die USA und die Türkei die Einrichtung einer Pufferzone im Norden Syriens. Die Vertreibung der IS-Miliz soll für »größere Sicherheit und Stabilität« an der türkisch-syrischen Grenze sorgen, wie am Montag aus US-Regierungskreisen verlautete. Ein ranghoher US-Vertreter sagte am Rande von Präsident Barack Obamas Besuch in Äthiopien, dass die Einzelheiten der Pufferzone noch ausgearbeitet würden.
Nach Luftangriffen auf die Dschihadistenmiliz IS in Syrien und die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) in Nordirak beschoss die Türkei nach kurdischen Angaben in der Nacht zu Montag auch von Kurden kontrollierte Dörfer in Nordsyrien mit Panzern. Ein türkischer Regierungsvertreter wies die Vorwürfe zurück. Die syrische Kurdenpartei PYD und andere gehörten »nicht zu den Zielen unserer Militäreinsätze«, sagte er. Aus dem türkischen Außenministerium hieß es, es sei »unmöglich, dass das Dorf bombardiert wurde«. Der türkische Beschuss sei lediglich eine Reaktion auf Schüsse von der syrischen Seite gewesen.
Begleitet wurden die Angriffe von einer Festnahmewelle. Nach Behördenangaben wurden seit Freitag rund 1050 Menschen festgenommen, darunter neben angeblichen IS- und PKK-Mitgliedern auch linksextreme Aktivisten. Im Istanbuler Viertel Gazi kam es am dritten Tag in Folge zu Zusammenstößen zwischen Polizei und Anwohnern.
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier appellierte an die Türkei, am Friedensprozess mit der PKK festzuhalten. In einem Telefonat mit seinem türkischen Kollegen Mevlüt Cavusoglu am Sonntag zeigte Steinmeier »Verständnis« für das Vorgehen der Türkei gegen die Verantwortlichen der Anschläge der vergangenen Tage. Der so mühsam aufgebaute Friedensprozess mit den Kurden dürfe aber »jetzt nicht zum Erliegen kommen«. Agenturen/nd
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