Bezirk Mitte prüft Schadenersatz zu Aktion vor Reichstag

Marsch des »Zentrums für Politische Schönheit« ins Berliner Regierungsviertel hat ein Nachspiel

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 3 Min.
Tausende demonstrierten Ende Juni vor den Berliner Reichstag und errichteten im Anschluss auf einer Grünfläche Gräberfelder für tote Einwanderer. Die Behörden ermitteln zu der Aktion. Der Veranstalter sieht das gelassen.

Viele der festgestellten Versammlungsteilnehmer erhalten in diesen Tag Post der Berliner Polizei. Dabei geht es um Vorladungen zu Aussagen zu laufenden Ermittlungen. Insgesamt 41 Strafanzeigen wurden nach dem »Marsch der Entschlossenen« am 21. Juni dieses Jahres erstattet, als Tausende ins Regierungsviertel zogen und im Anschluss an die vom Künstlerkollektiv »Zentrum für Politische Schönheit« (ZPS) organisierte Aktion einen Bauzaun nieder rissen und symbolische Gräberfelder für die im Mittelmeer ertrunkenen Einwanderer anlegten.

Die Behörden ermitteln in diesem Zusammenhang unter anderem wegen Sachbeschädigung, schwerem Hausfriedensbruch und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Insgesamt 91 Freiheitsentziehungen erfolgten bei der Aktion, die für bundesweites Aufsehen sorgte. Auch drei Journalisten waren damals von den polizeilichen Maßnahmen betroffen. Zwölf der insgesamt 437 eingesetzten Polizisten wurden verletzt. Die Zahlen gehen aus der Antwort der Verwaltung von Innensenator Frank Henkel (CDU) auf zwei noch nicht veröffentlichte Schriftliche Anfragen der Piratenfraktion hervor, die »neues deutschland« vorab vorliegen.

Demnach prüft das Bezirksamt Mitte »anhand der polizeilichen Ermittlungsergebnisse« außerdem auch weiterhin »eventuelle Schadenersatzpflichten« im Zusammenhang mit der Aktion, bei der die Grünfläche vor dem Reichstag durch rund 100 angelegte Gräber in Mitleidenschaft gezogen wurde. »Bisher«, so heißt es in der Antwort auf die Anfrage Christopher Lauers (parteilos, für Piraten), seien aber »noch keine rechtlichen Schritte gegen die Verantwortlichen eingeleitet worden«.
Doch wer sollen die Verantwortlichen sein? Der bei der Versammlungsbehörde angemeldete Aufzug war zum Zeitpunkt des Wiesensturms beendet. »Das passierte im Nachgang zu einer angemeldeten Veranstaltung«, sagt Stefan Pelzer vom »Zentrum für Politische Schönheit«. »Uns als Veranstalter rechtliche Schritte anzudrohen, ist völliger Quatsch.« Das Künstlerkollektiv geht davon aus, dass die »gigantische« Verfahrenszahl dazu dient, damit die Behörden ihr Gesicht wahren können. »Wir glauben, dass früher oder später alles eingestellt wird«, sagt Pelzer. Auch wenn das Zentrum den Wiesensturm nicht im Vorfeld geplant hatte, lässt das ZPS die Betroffenen nicht alleine, sondern vermittelt Kontakt zu Anwälten. »Dass die Entschlossenen entschlossen waren, begrüßen wir«, sagt Pelzer. Und: Zusammen werde man »die Kunstfreiheit« verteidigen.

Für den Innenexperten der Piratenfraktion, Christopher Lauer, lässt das Vorgehen der Polizei beim »Marsch der Entschlossenen« nach der aus seiner Sicht ausweichenden Behördenantwort viele Fragen offen. So konnte die Innenverwaltung zum Einsatz von Pfefferspray »wieder einmal keine konkreten Angaben machen«, kritisiert Lauer. Offenbar werde »Pfefferspray mehr oder weniger willkürlich ohne Rücksicht auf Gesundheitsgefahren eingesetzt«. Auch den Vorwurf des Senats, der Veranstalter habe sich im Vorfeld »bewusst unkooperativ Verhalten« befremdet Lauer. »Wer zur Vorbereitung einer Demo beispielsweise gar nicht erst zu Gesprächen mit der Polizei geht – was das gute Recht jeder Person ist – der steht aus Sicht des Senats anscheinend gleich unter Kriminalitätsverdacht.«

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