»Spitzenaktion« vor Gericht

Darf man heute einen Brandanschlag von vor 20 Jahren gut finden? Nein, sagt die Berliner Staatsanwaltschaft und schickt einem Interviewpartner des »nd« einen Strafbefehl. Doch der will das nicht hinnehmen

Es klingt nach einer alten Rechnung: »Superaktion« hat ein linker Buchautor und Antifa-Aktivist einen Jahre zurückliegenden Anschlag auf die »Junge Freiheit« genannt. Dafür soll er nun bezahlen.

Es war die Nachwendezeit, als die rechtsradikale Gewalt in Deutschland eskalierte und Dutzende Todesopfer forderte. Am 4. Dezember 1994 verübten Unbekannte einen Brandanschlag auf eine Druckerei in Weimar, in der die deutschnationale »Junge Freiheit« hergestellt wurde. Es soll ein Schaden von mehr als einer Million Mark entstanden sein. Zu dem Anschlag bekannten sich »Revolutionäre Lesbenfrauengruppen und andere revolutionäre Gruppen«. Der oder die Täter wurden nie ermittelt.

20 Jahre später soll nun ein Buchautor belangt werden, der in einem Interview an diesen Anschlag erinnert hat. Diese Woche kommt es in Berlin zum Prozess.

In einem Gespräch mit dem »neuen deutschland« blickte Bernd Langer, Alt-Autonomer und einer der Väter des modernen Antifa-Logos, zurück auf die bundesdeutsche Antifa in den 1980er Jahren und die Gründe ihres Scheiterns. Langer hatte da gerade ein Buch veröffentlicht zur Geschichte der Antifaschistischen Aktion. Das Interview erschien am 1. November 2014 unter der Überschrift »Wir hatten das militante Antifa-Monopol«. Ein halbes Jahr später flatterte Langer ein Strafbefehl ins Haus. 60 Tagessätze à 50 Euro, 3000 Euro also, soll er zahlen, weil er eine rechtswidrige Tat öffentlich gebilligt habe und zwar »in einer Weise«, die geeignet sei, »den öffentlichen Frieden zu stören«. Verurteilt werden soll damit eine Antwort in dem Interview, in der er den Brandanschlag auf die »Junge Freiheit« als »Superaktion« bezeichnet und mit den Worten endet »Der Kampf geht weiter!«. Ein Absatz in einem zwei Zeitungsseiten füllenden Gespräch, in dem neben ihm ein weiterer Antifa-Aktivist von damals Bilanz zog.

Die Berliner Staatsanwaltschaft wertet Langers Äußerungen als Billigung eines Verbrechens und »bewusste Provokation«. Langer sei es darauf angekommen, »die Relevanz - auch gegenwärtiger - illegaler militanter Aktionen in Form von Straftaten durch Personen aus der Antifa hervorzuheben«, heißt es in dem Strafbefehl vom 18. Juni, der »nd« vorliegt. Indirekt soll Langer Leser auch noch zu Brandstiftungen aufgefordert haben. Denn weil diese Ansicht in einer linken Tageszeitung verbreitet wurde, werde ein »Klima« geschaffen, »in dem potentielle Nachahmungstaten gedeihen«, meint das Gericht.

Großer Quatsch, findet Langer, den man aber nicht durchgehen lassen dürfe. Er hat den Strafbefehl zurückgewiesen. Immerhin könnte man sonst ziemlich viele Sätze aus Interviews ziehen, die dadurch einen ganz anderen Charakter bekommen. Der 45-Jährige pocht auf seine Meinungsfreiheit und wirft der Staatsanwaltschaft vor, seine Worte aus dem Zusammenhang zu reißen und bewusst fehlzudeuten. »Aussagen, die von mir eindeutig gemeint waren und zu verstehen sind, werden von der Justiz uminterpretiert, um mir das freie Wort zu verbieten.« Weder habe er einen militanten Aufruf gestartet, noch irgendwen provozieren wollen. Wozu er steht, ist die Einschätzung, dass der Angriff auf die »Junge Freiheit« zu dieser Zeit »eine relevante Sabotageaktion« war - »aber eben nur in dieser Zeit«. Heute seien die Verhältnisse andere, genauso wie die Antifa und das umstrittene Blatt. Langer vermutet rein politische Gründe hinter dem Verfahren und kontert kampfeslustig: Wenn etwas den »Rechtsfrieden« störe, »was immer das auch sein mag«, dann politisch motivierte Gerichtsurteile gegen Antifaschisten.

Aktiv wurden die Berliner Behörden nicht von allein, sondern durch einen Hinweis des ehemaligen Generalbundesanwalts Alexander von Stahl und späteren Rechtsbeistands der »Jungen Freiheit«. Grundlage für das Verfahren ist Paragraf 140, eine Vorschrift, die - nach Ansicht eines gängigen Strafrechtskommentars - »eher eine Demonstration der Vertrauenskrise des Staates als dessen Stärke« anzeigt. »Billigung« einer Straftat, die die Bevölkerung in Angst vor einer Wiederholung versetzt - für Langers Anwalt Sven Richwin ist diese Vorschrift noch dehnbarer als Aufforderung oder Anstiftung zu Straftaten. Ein klassischer Gummiparagraf also, wie es einige im Umfeld von politischen Delikten gibt. Immer dann gern genommen, wenn es keinen konkreten Strafansatzpunkt gibt, die Staatsanwaltschaft aber das Gefühl hat, irgendwie muss das doch verknackt werden. Nach Paragraf 140 wurden in den letzten Jahren einige Leute verurteilt, etwa im Zusammenhang mit den langjährigen Ermittelungen wegen brennender Bundeswehrfahrzeuge.

Der Angriff auf die »Junge Freiheit« liegt über 20 Jahre zurück, die Tat selbst ist mittlerweile verjährt. Dementsprechend abwegig klingt der Gedanke, dass eine Kommentierung der Vorgänge im Rahmen einer geschichtlichen Betrachtung weiterhin strafbar sein soll. Die Strafverfolgungsbehörden zeigen sich gleichwohl ziemlich engagiert in dem Fall. So wurde der nd-Redakteur, der Langer interviewte, gleich mehrfach vorgeladen. Dabei hätte klar sein müssen, dass Journalisten über ihre Quellen und Gesprächspartner in der Regel vor Gericht nicht aussagen.

Rechtsanwalt Richwin verweist auf den Bundesgerichtshof. Dieser gehe davon aus, dass sich die Bevölkerung bei »weit zurückliegenden Taten, die nur noch geschichtliche Bedeutung« haben, kaum noch verunsichern lassen dürfte. Der BGH lässt jedoch offen, ab wann genau »Geschichte« beginnt. Eine Ausnahme bilden Meinungsäußerungen in Bezug auf die deutsche Vernichtungsgeschichte. Wer den Holocaust leugnet oder den Nationalsozialismus verherrlicht, wird bestraft. Da verjährt nichts.

Die Vorstellung, was den öffentlichen Frieden stört, hat sich in der Geschichte immer wieder gewandelt, betont Richwin. Vor 20 Jahren waren die Abschaffung von Atomkraft oder die Wehrpflicht noch Gegenstand scharfer politischer Auseinandersetzungen, heute ist beides Regierungspolitik. In der aufgeheizten Stimmung 1994 mögen auch Langers Sätze anders gewirkt haben. Dass sich dadurch aber heutzutage tatsächlich jemand zur Nachahmung der »Superaktion« aufgefordert fühlt, daran hat Richwin ernsthafte Zweifel. Wann sind Bewertungen zur Geschichte verjährt? Ist Anfang der 1990er Jahre lange genug vergangen, um den öffentlichen Frieden nicht mehr zu gefährden? Neuland vor Gericht in Berlin-Moabit.

Immerhin mit einer Entscheidung ist Richwin zufrieden: Der Fall wurde inzwischen als »Pressedelikt« eingestuft. Das sollte garantieren, dass Presse- und Meinungsfreiheit bei der Prüfung einiges Gewicht haben. Richwin betont: »Eine Strafverfolgung, die ohne Würdigung der Meinungs- und Pressefreiheit den historischen Kontext als auch den Zusammenhang des Interviews böswillig ausblendet, wird zur reinen Gesinnungsjustiz.«

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