Der Wunderheiler vom Potsdamer Platz

Betrugsprozess vor dem Amtsgericht Tiergarten: Angeklagte soll britischen Milliardär geprellt haben

  • Lesedauer: 3 Min.
Betrüger, Scharlatan oder einfach nur ein guter Mensch mit genialen Fähigkeiten? Das Amtsgericht Tiergarten muss es herausfinden.

Das ist der Stoff für ganz großes Kino. Der selbsternannter »Heiler und Hellseher« Marc A. (43 Jahre) steht wegen Betrugs vor Gericht. Er soll den an Parkinson erkrankten britischen Milliardär Ronny Sch. (45) um sehr viel Geld geprellt haben. Wie viel, das lässt sich bei all den Kreuz-und-quer-Zahlungen ohne Quittungen und Vertrag nur schwer ermitteln. Die merkwürdige Geschichte begann wohl 2007. Da wurde Ronny Sch., als Teil eines Londoner Immobilien-Imperiums, auf Marc A. aufmerksam. Er soll mit seinen übersinnlichen Fähigkeiten geholfen haben, dass Ronnys Cousine schwanger wurde. Zu der Zeit war er schon schwer an Parkinson erkrankt, wusste, dass die Krankheit nicht heilbar ist, doch er klammerte sich an das Fünkchen Hoffnung, das mit jedem Heilversprechen verbunden ist. Bis 2007 nahm der Unternehmer Medikamente. Mit starken Nebenwirkungen, wie er dem Gericht als Zeuge erläutert: Spielsucht, Sexsucht und einen Hang zum Verschenken.

Marc, der Hellseher aus dem fernen Berlin, sollte Abhilfe schaffen. Durch spiegelbildlichen Austausch von Energien. Oder anders: In dem Maße, wie der Immobilienmann Geld in Marcs Taschen fließen ließ, sollten auch die unerwünschten Nebenwirkungen abfallen. Man traf sich zu Behandlungssitzungen im Londoner Büro, aber auch in Bars oder der Lobby eines Hotels. Jedes mal wurde der Heiler aus Berlin eingeflogen. Aus einer Heilbekanntschaft wurde ziemlich beste Freundschaft. Die beiden mochten sich. Und Ronny Sch. zahlte. 100 000 britische Pfund als Geschenk. Einfach so, Marc war gerührt.

Doch die Resultate blieben aus. Und Marc. A. hatte neue Ideen: Die Gründung einer Film- und Fernsehproduktions-GmbH, Startkapital 600 000 Euro, gezahlt vom britischen Unternehmer. Ein Film über Altnazis, die mit Hilfe des Vatikans in Argentinien untertauchten, sollte entstehen. A. reiste durch die Welt, Ahnung vom Filmemachen, von Spurensuche oder gar Insiderwissen hatte er nicht.

Ein anderes Projekt: Marc wollte mit einer besonderen spirituellen Methode die Tora ins Englische übersetzen. Auch das ging in die Hose. Das Filmprojekt über den »Hellseher vom Potsdamer Platz« - gemeint war Marc A., der sich für viel Geld im Sony Center am Potsdamer Platz einquartiert hatte - kam nie zustande. Die GmbH hatte ständig Ausgaben aber nie Einnahmen. Irgendwann musste die Blase platzen. Und die Freundschaft zwischen dem Milliardär aus London und dem Heiler aus Berlin wandelte sich in Feindschaft.

Nun sahen sie sich vor Gericht wieder, am Dienstag war der erste Verhandlungstag. Marc holt aus zu einem umfänglichen Referat, überschüttet den Saal mit Geschichten seiner Gutgläubigkeit. Er sieht sich als Opfer, habe immer nur helfen wollen und müsse jetzt von 400 Euro im Monat leben. Um Geldfragen habe er sich nie gekümmert. Das Wort »Darlehen« und verschiedene Verträge mit der Unterschrift von Marc habe er gar nicht ernst genommen. »Ronny war das Hirn, ich war das Herz.« Will sagen: Ronny hat gezahlt und ich ausgegeben. Dennoch wird der Prozess keinem Genugtuung bringen. Das Geld ist futsch, Ronny wird nicht geheilt werden und Marc wird weiter an seine Wunderkräfte glauben.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.