Obamas wackeliger Deal mit Erdogan
Das amerikanisch-türkische Einvernehmen im Kampf gegen den IS macht die Kurden zu Verlierern
Die eigentlich nur noch provisorisch im Amt befindliche Regierung von Ahmet Davutoglu hat einen Krieg gegen den Islamischen Staat (IS) und die kurdische PKK begonnen. Federführend ist jedoch, wie in allen wichtigen Fragen, offensichtlich nicht Davutoglu, sondern Präsident Recep Tayyip Erdogan. Entscheidend war ein Telefongespräch zwischen Erdogan und Barack Obama am Mittwoch voriger Woche. Erdogan sagte dem US-Präsidenten die aktive Bekämpfung des IS und die Nutzung der US-amerikanischen Basis in Incirlik zu.
Die Bilanz der ersten Tage in dem neuen Zweifrontenkrieg ist aber für alle, die nun das Ende des IS kommen sehen, eher ernüchternd. Bombardiert werden vor allem Stellungen und Lager der PKK im türkisch-irakischen Grenzgebiet und das Hauptquartier der PKK am Berg Kandil weiter im nordirakischen Hinterland. Auch die kurdische Miliz in Syrien berichtet über Beschuss von türkischer Seite, was vom türkischen Militär aber dementiert wird.
Die Meldungen über Angriffe auf den IS sind auffallend vage. IS-Fahnen flattern noch immer direkt an der türkisch-syrischen Grenze und die Grenze ist an dieser Stelle ruhig.
Gleichzeitig mit dem Beginn der Luftangriffe begannen Massenfestnahmen von bisher etwa tausend Personen. Die Festnahme bärtiger IS-Funktionäre wurde groß im Fernsehen gezeigt. Aber auch kurdische und linke Aktivisten kamen in Gewahrsam. Ob die IS-Anhänger wirklich in Haft kommen, ist indessen unsicher, da es in der Türkei bisher keine klare Entscheidung darüber gibt, ob der IS als terroristische Organisation zu betrachten ist. Bei linken oder kurdischen Gruppen ist man da bedeutend schneller mit dem Terrorismusbegriff bei der Hand.
Ein Vorgehen gegen kurdische Organisationen hatte Erdogan, der jetzt den Friedensprozess mit den Kurden für beendet erklärte, schon vor Wochen angekündigt, als er sagte, er werde niemals die Bildung eines neuen Staates in Syrien erlauben. Damit war die kurdische Selbstverwaltung in Syrien gemeint, nicht der Islamische Staat. Doch die US-Regierung, die in höchster Not für die kurdischen Verteidiger von Kobane einst Waffen aus der Luft abwerfen ließ, schweigt zum Vorgehen gegen die Kurden bzw. spricht vom Selbstverteidigungsrecht der Türkei.
Der Grund ist klar: Erdogan offerierte dem gerade auf einer Reise in Afrika befindlichen Obama mit der Unterstützung im Kampf gegen den IS eine nahezu einmalige Chance. Bisher starten US-Jets zu Einsätzen in Syrien von Flugzeugträgern im Persischen Golf und müssen in der Luft aufgetankt werden. Das beschränkt Schnelligkeit und Umfang der Einsätze. Verglichen damit liegt Incirlik nahe an der syrischen Grenze.
Mindestens so wichtig wie die Benutzung von Incirlik ist aber für Obama, dass die Türkei den IS blockiert. Sowohl jugendliche Abenteurer als auch erfahrene Kämpfer, etwa aus Tschetschenien, konnten bisher kaum behindert über die Türkei in IS-Gebiet reisen. Dazu kamen junge Söldner aus konservativen türkisch-kurdischen Familien. Über die Grenze konnte der IS auch Öl aus von ihm besetzten Förderanlagen schmuggeln. Waffen kamen ebenfalls auf diesem Weg zum IS und mitunter direkt aus den Händen des türkischen Geheimdienstes MIT. Kurz nachdem die Grenzstadt Tell Abyad vom IS erobert worden war, haben türkische Gendarmen selbst einen von Mitarbeitern des MIT begleiteten Waffentransport nach Tell Abyad vorübergehend gestoppt. Die Behauptung Erdogans, es habe sich um Waffen zum Schutz der turkmenischen Minderheit gehandelt, die ihm mit erheblicher Verspätung einfiel, ist nicht glaubwürdig. Eine völlige Abtrennung von der Türkei als ruhigem Hinterland wäre für den IS ein größeres Problem, vielleicht sogar der Anfang vom Ende. Für Obama, dessen Krieg gegen den IS kaum vorangeht, ist das eine verlockende Vorstellung.
Dass es dahin kommt, ist höchst ungewiss. Es könnte sogar sein, dass die türkische Wende am Ende dem IS mehr nützt als schadet. In den vergangenen Monaten hat sich der von der kurdischen YPG kontrollierte Streifen wie ein Puffer zwischen das vom IS kontrollierte Gebiet und die Türkei gelegt. Es fehlte nur noch ein etwa hundert Kilometer breites Stück. Hätten die Kurden zusammen mit ihren syrischen Verbündeten diesen Streifen mit Hilfe der US-Luftwaffe auch noch erobert, so wäre der IS ohnehin von der Türkei abgeschnitten gewesen und zwar zuverlässig.
Genau aus diesem Streifen will nun die Türkei den IS selbst zurückdrängen und ihn durch »gemäßigte« syrische Rebellen besetzen lassen. Wie die Vertreibung des IS hier aussehen soll, ist unklar, jedenfalls werden weder türkische noch amerikanische Bodentruppen beteiligt sein und natürlich nicht die YPG. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird entweder der IS einfach dableiben, weil ihn niemand vertreibt oder das Gebiet kommt unter die Obhut von Kräften, die eng mit Ankara zusammenarbeiten. In beiden Fällen ist nicht gesichert, dass der IS die Verbindung zur Türkei auf Dauer verliert. Für solch unsichere Hoffnung hat Obama seinen kurdischen Verbündeten in Syrien im Stich gelassen.
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