Lieben, Leben, Sterben
Im Kino: »Still the Water« von Naomi Kawase
Als die japanische Filmemacherin Naomi Kawase im letzten Jahr mit ihrem neuesten Film im Wettbewerb von Cannes stand, nannte sie den Film ihr Meisterwerk - und gab der Hoffnung Ausdruck, damit nach zweiten und dritten Preisen diesmal die Goldene Palme zu gewinnen.
Mit der Palme ist es dann nichts geworden, »Still the Water« blieb ohne größere Auszeichnung. Zu wortlastig sei ihr Film, warfen die Kritiker ihr vor, er wolle zu viel erklären, statt sich auf seine schönen Bilder zu verlassen - und überlang sei er auch. Lang ist er wirklich, die Bilder sind tatsächlich von großer Schönheit - und ziemlich viele »bedeutsame« Reden schwingt er auch, der Film. Fragt sich nur, ob das ein Nachteil sein muss, wenn von elementaren Fragestellungen des Lebens gehandelt wird, von Liebe und Schmerz, Leben und Tod.
Oder ob es einem Initiationsfilm über zwei Teenager, die mit persönlichem Verlust und der Endlichkeit des Lebens umgehen lernen, während sie eine erste Liebe zueinander entdecken, die sich neu verorten, ihre persönliche Identität vielleicht nicht finden, aber doch ein bisschen genauer definieren lernen, nicht vielleicht auch mal große Worte geben darf neben den großen Bildern. Die kleinen Worte, die Unbeholfenheiten und vielen Fragen, die steuern die Kids schließlich selbst bei, das können sie so gut wir irgend je zwei Teenager irgendwo auf der Welt: als Kyoko (Jun Yoshinaga) Kaito (Nijiro Murakami) ihre Liebe gesteht, fällt ihm nichts besseres ein, als sich zunächst artig dafür zu bedanken. Immerhin das.
Seinen Vater fragt Kaito ganz direkt, warum der sich von der Mutter trennte - die nach der Trennung mit dem Sohn wegzog aus Tokio auf diese kleine, subtropische Insel ganz in Japans Süden. Und auch Kyoko, sonst die wachere und entschiedenere von beiden, fragt in ihrer Familie zunächst nach, wie es sein könne, dass ihre Mutter im Sterben liegt, bleich, zart und großäugig - wo sie doch Schamanin sei. Und müssten die nicht gefeit sein gegen den Tod, so als Mittler zwischen Menschen und Göttern? Vielleicht spielt Naturmystik eine für westliche Augen bei aller naturschützerischen grünen Bewegtheit eher ungewohnt selbstverständliche Rolle im Kosmos der beiden Heranwachsenden. Aber auch das war schon immer so in den Filmen von Naomi Kawase - nur verloren die sonst meist weniger Worte.
Kyoko jedenfalls, das Inselkind, ist eine begeisterte Schwimmerin, ihre Mutter spirituell eng mit dem jahrhundertealten Banyan-Baum verbunden, der im Hof ihres Hauses seine Luftwurzeln ausbreitet - und den am Ende einer der Taifune fällen wird, die das Wasser um die Insel regelmäßig zu tobenden Wellenbergen aufpeitschen, wie auch die Mutter ihre (nie näher bezeichnete) Krankheit erwartungsgemäß nicht überlebt. So eng ist die Verbundenheit zwischen Kyoko und dem Wasser, dass sie gelegentlich in voller Montur ins Wasser springt, so wie sie gerade geht und steht - was zu surrealen, unerwartet nixenhaften Bildern führt, die sie in Schuluniform in eleganter Bewegung unter Wasser zeigen. (Dass sie sogar die Schuhe anbehielt, ist zur Nachahmung allerdings eher nicht zu empfehlen.)
Kaito dagegen, das Stadtkind mit örtlichen Anpassungsschwierigkeiten, hat Angst vor der Weite, der Tiefe und gelegentlichen Wildheit des Meeres. Und dass der tätowierte Tote, der gerade an den Strand gespült wurde, ein Gelegenheitsliebhaber seiner geschiedenen (und arbeitsbedingt außerdem meist abwesenden) Mutter war, macht es für den Jungen auch nicht einfacher, die Trennung der Eltern zu verwinden - oder den Ozean lieben zu lernen. Zu eng verbunden sind dessen gefährliche Unterströmungen mit den Unwägbarkeiten des Lebens, mit denen Kaito seinen Frieden noch nicht gemacht hat.
Am Ende werden Kyoko und Kaito, und damit verrät man kein großes Geheimnis, alles andere wäre die endgültige Kapitulation vor den Hürden des Lebens, endlich zusammen schwimmen gehen. Nackt, Hand in Hand, für eine Weile vereint, es gemeinsam anzugehen und gegen seine Widrigkeiten anzuschwimmen. Ein schönes Bild auch das - und diesmal ganz wortlos.
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