Als der Tenor in den Trichter sang
Hannover gilt als Geburtsort der Schallplatte - eine Ausstellung zeichnet dort den Werdegang der Erfindung nach
Die kreisrunde Scheibe hat einen Durchmesser von zwölf Zentimetern, ein Loch in der Mitte, dreht sich und kann Musik machen - was ist das? Klar, eine CD! Nicht unbedingt. Die Beschreibung passt auch haargenau auf eine der ersten Schallplatten. Aus Hartgummi wurde sie Ende des 19. Jahrhunderts gefertigt. Schwarz war sie, und bei nur einer Minute Spielzeit hätte man 74 solcher Scheiben nach und nach auflegen müssen, um aus dem Grammophon Beethovens 9. Symphonie zu hören. Nur wenige Exemplare der klingenden Gummischeiben sind erhalten. Eine liegt im Museum für Energiegeschichte(n) des Energieversorgers Avacon in Hannover auf dem Plattenteller.
Für die noch bis Ende Oktober 2016 laufende Ausstellung »Vom sanften Ton zum starken Sound« ist Niedersachsens Hauptstadt der passende Platz. Der Hannoveraner Emil Berliner gilt als Erfinder der Schallplatte und des Grammophons, und in Hannover gründeten er und seine Brüder 1898 die erste Schallplatten-Fabrik der Welt: die Deutsche Grammophon-Gesellschaft. Der Betrieb gedieh zum Großunternehmen. Leihgaben aus dessen Fundus prägen die Ausstellung, zu der auch Hörstationen mit Tondokumenten aus 100 Jahren Schallkonservierung zählen.
Um die Geschichte dieses Konservierens von Anfang an zu dokumentieren, startet die Ausstellung nicht mit der Platte, sondern mit deren Vorläufern: den Walzen, die sich ab 1877 auf Thomas Alva Edisons Phonographen drehten. Einige dieser Sprechmaschinen sind in Hannover ebenso zu sehen wie Grammophone, teils aus der Kaiserzeit. Aufziehbare Federmotoren, ob im schlichten Koffergerät oder im »Tonschrank« aus edlen Hölzern, sorgten für den Antrieb. Die Musik kam aus Schalltrichtern, elektrische Verstärker gab es noch nicht. Wie der Ton heraus kam, so war er seinerzeit auch hinein gekommen in die Platte: durch den Trichter. In einen solchen mussten der Tenor und die Sopranistin singen, die Philharmoniker spielen, wie ein Foto belegt. Vom Trichter gelangte der Schall zu einer Membran. Sie wiederum ließ über einen Stichel den Klang in jene »Formen« ritzen, mit denen die abspielbaren Platten gepresst wurden.
Wie sich die Produktionsverfahren und die dazu verwendeten Materialien - darunter rußbeschichtete Glasplatten - im Laufe der Jahrzehnte veränderten, ist dank zahlreicher Original-Exponate, Schrifttafeln und Bildern mitzuerleben. Etwa der Weg zur leicht zerbrechlichen Schellackplatte, die sich noch heute in manchem Sammlerschrank findet. Acht solcher Scheiben musste nacheinander auflegen und umdrehen, wer Beethovens 9. Symphonie komplett hören wollte.
Wurde dazu ein Abspielgerät mit Stahlnadel benutzt, so war es ratsam, diese nach jeder Plattenseite zu wechseln, um deren Rillen zu schonen. Die vielen Nadeln, die das erforderte, wurden in kunstvoll gestalteten Blechdosen verkauft. Sie zählen ebenso zu den Ausstellungsstücken wie Plattenhüllen und -etiketten.
Musikmöbel aus den 1960er und 1970er Jahren leiten über in die Gegenwart, zur Vinyl-Platte und zur CD: Genau so groß ist sie wie die schwarze Vorgängerin von 1902. Aber auf ein einziges dieser silbrig schimmernden Scheibchen passt nun Beethovens 9. Symphonie komplett.
Ausstellung »Vom sanften Ton zum starken Sound« im Museum für Energiegeschichte(n), Hannover, Humboldtstraße 32. Geöffnet dienstags bis freitags 9 bis 16 Uhr. Informationen, auch zu begleitenden Veranstaltungen, im Internet unter www.energiegeschichte.de
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