Die Neuvermessung der Rambles

Für die Aktivistin und Stadträtin Gala Pin sollen Erhebungen zum Barceloner Prachtboulevard nur der Anfang der Umgestaltung der Metropole sein

  • Julia Macher
  • Lesedauer: 4 Min.

Vor einem Jahr haben Sie im Strandviertel Barceloneta Demos organisiert und Transparente gegen illegale Touristenappartments gemalt. Kann man als Stadträtin noch Aktivistin sein?
Natürlich muss man den Schalter im Kopf umlegen, aber das wir ins Rathaus gewählt wurden, ist Teil eines gesellschaftlichen Wandels, der auch in anderen spanischen Städten und südeuropäischen Ländern zu erleben ist. Die meisten von uns hatten nie vor, in Institutionen zu arbeiten; unsere Wurzeln liegen in der Empörten-Bewegung. Wenn wir jetzt trotzdem den Weg in die Institutionen gewagt haben, dann, um uns Bürgern unsere Rolle in der Politik zurückzugeben. Wir wollen aus der Perspektive ganz normaler Bürger die Probleme angehen - auch wenn die komplexer sind, als wir uns vorstellen konnten. Ich hätte zum Beispiel nie gedacht, dass es so kompliziert ist, mehr öffentliche Toiletten aufzustellen.

Barcelona empfängt jährlich knapp acht Millionen Besucher, alles drängt in die Altstadt. Wohnraum verteuert sich, Anwohner klagen über Lärm, Dreck, von Reisegruppen verstopfte Straßen. Wie viel Tourismus verträgt die Stadt?
Es geht nicht um Zahlen, sondern um Qualität. Und die Qualität des Tourismus hängt nicht davon ab, ob die Besucher viel oder wenig Geld ausgeben, sondern von der Lebensqualität der Anwohner. Wenn es denen gut geht und sie respektiert werden, können sie Besucher als »Mitbewohner auf Zeit« begreifen. Dafür brauchen wir Regeln, die von allen respektiert werden.

Zur Person

Gala Pin (34) ist eine Stadträtin des Bündnis »Barcelona en comú«

Zu den ersten Maßnahmen gehörten ein vorläufiger Stopp für Hotellizenzen, die Einrichtung eines Bürgerrates, ein Pilotprojekt zur Nutzung illegal vermieteter Ferienappartments als Sozialwohnungen, strengere Sanktionen für Online-Anbieter. Greifen die Maßnahmen?
Bis wir Ergebnisse sehen, wird es noch dauern. Die Probleme mit dem derzeitigen Tourismusmodell haben eine lange Vorgeschichte, und bis Maßnahmen administrativ umgesetzt werden, vergeht mehr Zeit als ich mir vorstellen konnte. Wir brauchen auch deswegen weiter mobilisierte, aktive Bewohner. Nachbarschaftsinitiativen haben jetzt eine Kampagne gestartet, in der sie Touristen aufklären, woran sie illegale Appartments erkennen. Das begrüßen wir!

Barcelona gilt europaweit als Paradebeispiel für Gentrifizierung. Gerade in der Altstadt konzentrieren sich die Probleme - und die unterschiedlichen Interessensgruppen. Mit wem haben Sie in Ihrer Funktion als Stadträtin zuerst gesprochen?
Mit Anwohnern der Barceloneta und fliegenden Händlern ...

... meist afrikanische Migranten, die auf der Straße CDs und Imitate von Marken-Handtaschen und Sonnenbrillen verkaufen ...
... über die sich Ladenbesitzer beschwert haben. Doch Vertreibung durch die Polizei ist keine Lösung, das ist ein soziales Problem. Wir versuchen jetzt herauszufinden, wer von diesen Menschen Papiere hat, welche Ausbildungsmaßnahmen für sie Sinn machen könnten, welche Möglichkeiten es für sie jenseits der informellen Wirtschaft gibt, etwa in Kooperativen.

Das erste öffentliche Treffen mit Anwohnern fand auf dem Prachtboulevard Les Rambles (spanisch Las Ramblas) statt, als Versuch, die berühmte Flaniermeile für die Barceloner »zurückzuerobern«. Jetzt möchten Sie dort die Eigentumsverhältnisse kartografieren. Warum?
Wir fangen mit den Rambles an, werden aber die gesamte Altstadt kartografieren. Auf ihr lastet enormer Spekulationsdruck. Daher müssen wir nicht nur wissen, wem was gehört, sondern auch, wohin das Kapital fließt.

Ihre Vorvorgängerin Itziar González hat im Zusammenhang mit Immobilienspekulation ganz offen von der internationalen Mafia und Geldwäsche gesprochen. Geht es also auch darum, dem Gegner ein Gesicht zu geben?
Zunächst einmal geht es um eine Bestandsaufnahme, auch um gemeinsam mit allen Akteuren unsere Ziele definieren zu können. Aber ich teile Itziars Verdacht. Auch dafür brauchen wir konkrete Daten.

González trat 2010 wegen Todesdrohungen zurück. Spüren Sie ähnlichen Druck?
Zum Glück nicht. Itziar hat allein gekämpft, wir sind eine ganze Regierungsmannschaft. Das ist ein Riesenunterschied. Und die Öffentlichkeit ist einfach nicht mehr gewillt, bestimmte Praktiken zu akzeptieren, sondern wachsam und kritischer geworden. Deswegen hat man uns ja gewählt.

Wird auch unter »Barcelona en comú« demonstriert werden?
Es wäre ein schlechtes Zeichen, wenn mit den Protesten Schluss wäre! Sie sind ein Zeichen, dass die Menschen ihr Viertel lieben, sich um es sorgen. Davon lebt die Stadt!

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