Aus die Maus

Eine Kapitulation als Anklage: Heinrich Schmitz hat die deutschen Zustände kritisiert - und wurde dafür massiv bedroht. Nun stellt er seine Arbeit als politischer Kolumnist ein

Heinrich Schmitz setzt einen Schlusspunkt. Offenbar mit enormer Wut im Bauch erklärt der Blogger, dass er sich künftig nicht mehr öffentlich äußern werde. Seine Kapitulation kommt einer Anklage gleich, sie könnte ebenso gut mit »J’accuse« - ich klage an - überschrieben sein, wie dies bei Émile Zolas berühmtem öffentlichen Brief an den französischen Präsidenten 1898 war. Der Romancier klagte darin bitter über den verbreiteten Antisemitismus im Land und bezog damit Position in der Dreyfus-Affäre.

Der Vergleich mag hinken. Schließlich war Zola in Frankreich überaus populär, Schmitz dagegen bis zu seiner Kapitulation nur einem kleinen Kreis bekannt. Der Jurist hat über zwei Jahre lang zumeist bissige Kolumnen für das Internetportal »The European« über die deutschen Zustände verfasst. Immer wieder prangerte er darin die Fremdenfeindlichkeit im Land an und kritisierte eine Politik, die gerne in Untätigkeit schwelgt. Sein Tonfall war bisweilen flapsig, aber stets achtete er darauf, dass seine Argumentation darunter nicht litt.

Zweifelsfrei hat er mit seinen Beiträgen ein gewisses Aufsehen erregt - und, wie das im 21. Jahrhundert üblich ist, musste er regelmäßig einen Shitstorm über sich ergehen lassen. Meistens habe er mit einem »Schulterzucken« auf die pöbelnden Kommentare reagiert, sagt er, in denen er mal als »rotgrünversiffter Gutmensch«, mal als »getarnter Nazi« beschimpft wurde; wahlweise galt er in den Hassnachrichten als Antisemit, Antideutscher, Rechter oder Linker. »Beleidigungen oder Unterstellungen habe ich entweder mit einer stoischen Ruhe ins Leere laufen lassen oder aber auch bissig gekontert. Je nach Laune.« Diskussionen aber sei er niemals ausgewichen, erklärt er in seiner Kapitulation, die zuerst Change.org veröffentlicht hat, inzwischen aber auch vom »Tagesspiegel« übernommen wurde und mittlerweile eine immer größere Beachtung findet.

Spurlos sind die Beschimpfungen an dem Blogger aber nicht vorübergegangen. Schmitz war zunehmend dünnhäutig geworden. Am vergangenen Wochenende wurde für ihn eine Grenze überschritten. Ein perfider Telefonanruf, den er mit einer anderen Vorgeschichte vielleicht als Schwachsinn abgetan hätte, veranlasste ihn zur Aufgabe. Ein Unbekannter hatte bei der Polizei angerufen, sich unter seinem Namen ausgegeben und mitgeteilt, er habe seine Frau umgebracht. Die Polizei nahm den Anruf ernst und durchsuchte sein Haus, als er sich gerade zusammen mit seiner Frau auf dem Weg zu seiner Tochter befand. Als beide ankamen, habe sie zitternd dagestanden, weil die Polizei auch ihr gesagt habe, »dass ihr Vater ihre Mutter umgebracht habe«. Für Schmitz war das zu viel. Nun ist er verstummt, um seine Familie zu schützen. »Aus die Maus«, schreibt er in seiner Abschiedskolumne.

Der Blogger vermutet, dass der Anruf im Zusammenhang mit einer weiteren Drohung vor einigen Tagen gegen einen Studenten steht, der die Online-Petition HeimeOhneHass initiierte. Denn im Petitionstext, der auf Change.org veröffentlicht ist, wird auch Schmitz aus einer seiner Kolumnen zitiert. Unbekannte drohten dem Studenten am Telefon mit der Ermordung seiner Eltern und Geschwister - »Namen und Adressen waren dem Anrufer bekannt«, weiß Schmitz. Daraufhin hat auch der Student sein Engagement beendet. Eine Gruppe von Aktivisten führt die Petition, die ein Verbot fremdenfeindlicher Demonstrationen vor Flüchtlingsheimen fordert, seitdem fort.

Erst vor einigen Tagen widmete ein befreundeter Künstler Heinrich Schmitz ein Bild, das den Titel »exekutive, legislative judikative« trägt. Schmitz sei ein Kämpfer, schrieb der Urheber anerkennend.

Tatsächlich versuchte Schmitz in seinen Kolumnen, eine öffentliche Diskussion über den Zustand im Land loszutreten, strengte sich an, eine virtuelle vierte Gewalt darzustellen, wie Optimisten die öffentlichen Medien bezeichnen. Nun habe er das Handtuch geworfen, teilte Schmitz dem Künstler mit. Nicht nur wegen des infamen Einschüchterungsversuchs und des Hasses, der ihm in den Kommentaren entgegenschlug.

Vielmehr glaubt er nicht mehr an einen Aufstand der Anständigen, wie ihn kürzlich noch die ARD-Moderatorin Anja Reschke forderte - die dazu aufrief, den Vorurteilen und Überfremdungsängsten etwas entgegenzuhalten. »Wenn die Mehrheit der Deutschen kein grundlegend negatives Gefühl den Flüchtlingen gegenüber hat, dann muss das auch zum Ausdruck kommen«, verlangte sie. Schmitz dagegen hat offenbar resigniert: Zu viele hätten doch schon lange auf »Wellnessmodus« geschaltet, beklagt er. Jetzt habe er kapiert, schreibt er, dass die schweigende Mehrheit »keineswegs mit dem Hass auf den Straßen einverstanden ist, aber lieber hinter den Gardinen steht, statt selbst auf die Straße zu gehen. Dass die Frau an der Spitze dieses Landes das Schweigen zur Regierungsmaxime erhoben hat und sich gerade deshalb alternativloser Beliebtheit erfreut.«

Dies war die letzte Spitze des Kolumnisten, der nun ein Jugendbuch über die Fragen des Rechts schreiben und sich lokal bei der Flüchtlingsbetreuung einsetzen will. Denn ein »Gutmensch«, wie er oft gescholten wurde, will er bleiben. Das versichert er.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -