»Landesverrat« als Urlaubsthema
Rechtsausschuss des Bundestages kümmerte sich auf die Schnelle um Pressefreiheit
Genau genommen arbeitet die parlamentarische Demokratie der Bundesrepublik regulär fünf Monate im Jahr. Zwischendurch sind Ferien. So wie jetzt. Da sind Pförtnerlogen nur halbtags besetzt und in Abgeordnetenbüros haben Anrufbeantworter das Sagen. Da ab Donnerstag auch das trojanerverseuchte Computernetzwerk in eine Art Hypnosezustand versetzt wird, ist also »tote Hose« im Bundestag. Nur am gestrigen Mittwoch mussten die Abgeordneten ihre Ferien unterbrechen. Es galt über das Griechenland-Kreditpaket zu befinden.
Wenn sie schon da sind, können sich die Mitglieder des Rechtsausschusses praktischerweise auch gleich mit dem Skandal um die - inzwischen eingestellten - Landesverratsermittlungen gegen die Blogger von »netzpolitik.org« befassen, dachte sich die Ausschussvorsitzende Renate Künast von den Bündnisgrünen. Eigentlich hätte sie ja lieber einen Untersuchungsausschuss initiiert, doch mit dem Gedanken stand sie fast allein auf leeren Fluren. Nicht einmal eine Ausschusssondersitzung war ihr vom Parlamentspräsidenten Norbert Lammert (CDU) erlaubt worden. Der winkte - wie die Koalitionsfraktionen - ab. Es war Lammert egal, dass die Grünen-Parlamentsgeschäftsführerin Britta Hasselmann das für einen »ungeheuerlichen Vorgang« hielt.
Für den Mittwoch nun lud Künast auch die Minister für Justiz und Inneres ein, dazu sollten der Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen (als Erstatter der Strafanzeigen) sowie Generalbundesanwalt Harald Range (als sein Werkzeug) Fragen beantworten. Eigentlich ist Range schon seit Anfang August wegen seines Verhaltens in der Affäre von Justizminister Heiko Maas (SPD) gefeuert, eigentlich sind er und Maas sich weiter spinnefeind. Doch gestern vor den Kameras taten beide so vertraut, als würden sie in den kommenden Wochen gemeinsam angeln. Freilich ohne Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU). Der ließ sich beim Ausschuss entschuldigen. Auch Geheimdienstchef Maaßen, auf den sich die Oppositionsvertreter besonders vorbereitet hatten, schickte nur seinen Vize Thomas Haldenwang in die parlamentarische Arena.
Obwohl die Sitzung des Rechtsausschusses - vor und nach der Griechenland-Debatte - hinter geschlossenen Türen stattfand, wurde klar: Erstens, Angelfreunde werden Maas und Range nie im Leben. Zweitens, Aufklärung geht anders. Also - Wiedervorlage im September? Es muss sich erst noch erweisen, ob die - wie Künast meint - »Granate« des Verfassungsschutzes »voll nach hinten losgegangen ist«. Hinter dem Skandal steckt offenbar die elitäre exekutive Absicht, Journalisten wie Abgeordnete gleichermaßen zu disziplinieren.
Solche Versuche sind nicht neu - zwischen 1987 und 2000 hat der Journalistenverband 164 Fälle registriert. Doch die aktuelle Nummer mit dem »Landesverrat« übertraf mit Ausnahme der 1962er »Spiegel«-Affäre alles Gekannte. Zudem hat der Verfassungsschutz nicht alleine gehandelt. Die halbe Bundesregierung samt Kanzleramt, das in der BND-NSA-Affäre auch schon Attacken gegen Medien und Volksvertreter geritten hat, wusste Bescheid - und hielt den Geheimdienstchef nicht auf.
Um solchen Tendenzen zu wehren, hat die Linksfraktion einen Antragsentwurf erarbeitet, hinter dem sich eigentlich alle Fraktionen sammeln könnten. Doch die anderen wollten ihn nicht behandeln. Obwohl darin wird die grundgesetzlich geschützte Pressefreiheit »als Basis einer demokratischen Gesellschaft« bezeichnet. Meinungsfreiheit könne nur durch den freien Zugang zu Informationen sichergestellt werden, heißt es. »Kritischer und investigativer Journalismus stellt die Informationen zur Verfügung, die für gesellschaftliche Debatten wichtig sind.«
Gerade im digitalen Zeitalter und bei den mannigfachen Überwachungsmöglichkeiten, die der NSA-BND-Skandal offenbart hat, sei mutiger Journalismus unverzichtbar. Daher formuliert die LINKE die etwas ungelenke, doch wichtige Forderung, dass »Personen von der Strafverfolgung lediglich wegen der Veröffentlichung von als geheim eingestuften Dokumenten befreit werden«. Ähnlich geschützt sollten Hinweisgeber sein, wenn sie »über Missstände und Grundrechtseingriffe, widerrechtliche Handlungen und andere für die Bevölkerung relevante Vorgänge aufklären«. Der Fall Snowden habe die Bedeutung von Whistleblowern deutlich gemacht. Zugleich macht man sich für eine Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaften stark. Das Weisungs-, Aufsichts- und Leitungsrecht der Bundes- und Landesjustizminister sei abzuschaffen, liest man.
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