Einmal Freiberg zusätzlich
Sachsens Politik wappnet sich für höhere Zuwandererzahlen - AfD macht Stimmung
Die Sachsen wurden immer weniger. 4,9 Millionen Menschen lebten Anfang der Neunziger im Freistaat; jetzt sind es noch 4,1 Millionen. Die Differenz von 800 000, merkte CDU-Ministerpräsident Stanislaw Tillich jetzt an, entspreche »zufällig«ziemlich genau der Zahl der für 2015 in der Bundesrepublik erwarteten Zuwanderer. Sachsen nimmt, so sieht es der für die Verteilung maßgebliche Königsberger Schlüssel vor, 5,1 Prozent auf, also gut 40 000 Menschen. Das sind so viele, wie in Freiberg leben, der siebtgrößten Stadt. »Die Herausforderung ist groß«, sagt Tillich, sie sei aber zu meistern. »Wir sind nicht überfordert«, sagte sein SPD-Vize Martin Dulig nach einer Sondersitzung des Kabinetts, »wir sind herausgefordert.«
Angesichts der vom Bund deutlich angehobenen Prognose will der Freistaat in die Offensive kommen. Bisher wirkten die Behörden oft wie Getriebe - die überstürzte Errichtung einer Zeltstadt für 1100 Menschen mitten in Dresden war nur der augenfälligste Beweis. Nun wolle man »das Heft des Handelns in die Hand nehmen«, sagt Tillich. Das Kabinett plant die Schaffung von 10 000 Plätzen in Einrichtungen zur Erstaufnahme sowie einen »Puffer« von 3500 Plätzen. Auf Prognosen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) allein wolle man sich nicht verlassen, sagt Tillich: Niemand könne sagen, ob die jetzige Zahl endgültig sei.
Errichtet werden sollen die Erstaufnahmeeinrichtungen vorrangig in den Großstädten. Je 3600 Plätze sollen in Leipzig und Dresden geschaffen werden, 1800 in Chemnitz, wo es schon eine solche Einrichtung gibt; dazu kommen zwei Außenstellen in einer schon jetzt genutzten Kaserne in Schneeberg (300 Plätze) sowie in Zwickau (700). Termine nannte Tillich nicht. Er beklagte bürokratische Hürden etwa aus dem Vergaberecht und drängte zu Lockerungen. Es sei unklar, ob das Konzept »nächstes, übernächstes oder überübernächstes Jahr« umgesetzt sei. Zunächst würden auch Zwischenlösungen an anderen Standorten genutzt. So soll in Heidenau ein ehemaliger Baumarkt zur Unterbringung dienen. Oberstes Ziel sei, dass nach dem 30. Oktober kein Flüchtling mehr im Zelt wohnt.
LINKE und Grüne unterstützen das Vorgehen. Es gebe »erstmals eine vorausschauende Planung«, lobte Valentin Lippmann, parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen. Sebastian Scheel, sein Kollege von der LINKEN, befürwortet das Vorhaben, alle Möglichkeiten zur Beschleunigung zu nutzen. »Mit den klassischen Methoden kommen wir nicht mehr weiter«, sagte er. Man müsse schnell Unterkünfte schaffen und könne dann später »Zug um Zug die Standards wieder herstellen«, sagte er. Beide Fraktionen wollen allerdings einbezogen werden. Sie forderten eine Sondersitzung des Landtags. »Das ist eine historische Aufgabe«, sagte Scheel. Um sie zu bewältigen, müssten auch die Parteien zusammenstehen.
Eine der fünf in Sachsens Landtag vertretenen Parteien geht freilich eigene Wege. Die AfD hatte für Mittwoch zu einer Demonstration aufgerufen, bei der sie das »Asylchaos« in Sachsen geißelte. Zwar geht die Partei auf Abstand zur plumpen Ausländerfeindlichkeit der NPD. Der Protest richte sich nicht gegen Menschen, die eine angeblich zu laxe Gesetzeslage »einfach ausnutzen«, hieß es. Allerdings schüren die Bundes- und sächsische Landeschefin Frauke Petry sowie ihre Fraktionskollegen geschickt Ressentiments. Der Abgeordnete Jörg Urban aus Dresden sprach von »ungebremster Armutsmigration«, verlangte »umfassende Abschiebungen« und verwies auf sich häufende Berichte über »Drogenkriminalität und sexuelle Übergriffe«. Petry machte für die steigende Zahl von Asylanträgen die Einführung von Geldleistungen für Asylbewerber verantwortlich, die »höhere Anreize als Esspakete« böten. Zudem forderte sie einen »Bürgerdienst« für Zuwanderer.
Beobachter vermuten, dass die AfD auf die Welle springen will, die Pegida in Dresden erzeugt hat. Die 500 Teilnehmer der Demo wetterten über die »Lügenpresse« und titulierten Gegendemonstranten als »Linksfaschisten«. Die Linksabgeordnete Juliane Nagel warf der AfD vor, auf den »Zug der rassistischen Mobilisierung« aufzuspringen. Dass sie ausgerechnet in der Pegida-Stadt Dresden zu einem Aufmarsch mobilisiere, sei ein »kalkuliertes Spiel mit dem Feuer«.
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